Der
Kannibale
(aus www.stern.de)
Aus
dem Kofferradio säuselt leise Musik, als Armin Meiwes
seinen Freund umarmt. Er streicht ihm über die Arme, liebkost
seinen Hals und die Wangen. "Mach dir keine Sorgen", flüstert
er. Die Abendsonne senkt sich über dem alten Gutshof. Es ist
ein Freitag im März, kurz vor Ostern im Jahr 2001. Die
Männer zünden sich Zigaretten an. An den
Wänden des Raumes glauben sie Umrisse von Tieren zu erkennen.
Wie Kinder, die in einen Himmel voller Wolken schauen. "Da, siehst du
den Steinbock?", fragt Bernd Brandes. "Oder ist es ein Esel?" Meiwes
lacht. Kurze Zeit später holt er von nebenan ein
Schlachtermesser, um den Freund zu töten.
Das
Zimmer, in dem es passieren wird, ist eine ehemalige
Räucherkammer. Der Ruß hat dunkle Spuren an den
Wänden hinterlassen. Vier mal drei Meter misst das Verlies,
fensterlos, erhellt von Neonlicht. Es riecht nach dem Moder eines
jahrhundertealten Hauses. In der Ecke steht ein Bett aus rostigem
Eisen, drei blaue Matratzenteile, darüber eine fleckige
Steppdecke. In der Mitte des Raumes ein Biergartentisch. Die Fesseln,
das Beil und ein Messer sind nebenan. Armin Meiwes Schlachtraum liegt
im zweiten Stock.
Stundenlang
kuscheln Meiwes und Brandes in dem Verschlag und liebkosen
sich. Sie haben sich endlich gefunden. Es sind die Minuten vor einer
Tat, die beide herbeigesehnt haben: Armin Meiwes wird Bernd Brandes
erstechen, ausnehmen, zerlegen und aufessen. Zuvor wird er die
Genitalien seines Opfers abschneiden, die sie gemeinsam verspeisen
wollen. Es ist ein Verbrechen, das einzigartig ist in der deutschen
Kriminalgeschichte.
Die
Mutter
Armin
Meiwes ist acht Jahre alt, als die Männer aus seinem
Leben verschwinden. Zuerst der älteste Bruder, der zum
Studieren nach Berlin geht. Dann der Vater, der sich von seiner 19
Jahre älteren Ehefrau trennt. Zuletzt der liebste Bruder, der
auch nach Berlin zieht, weil die Mutter sich überfordert
fühlt. Nur Armin bleibt in dem kleinen Haus in
Essen-Holsterhausen. Er erlebt, wie eine verbitterte Frau ihre dritte
gescheiterte Ehe beklagt. Und den Hass auf alle Männer
schürt.
Nach
außen ist er ein normaler Junge, gut in der Schule, vor
allem in Mathe. Ein Junge, der sich manchmal prügelt und zu
Hause gern Modellhäuser bastelt. Der ein bisschen
schüchtern und verklemmt daherkommt, in seinem
weißen Hemd mit Pünktchen darauf und der kurzen
Lederhose. Es ist Anfang der 70er Jahre, die anderen Jungs tragen
längst Jeans.
Mittags
verabschiedet sich Armin von den Kumpels: Er müsse zu
Hause helfen. Die Mutter sitzt auf dem Sofa, klagt über
Kopfschmerzen und gibt Anweisungen: waschen, Fenster putzen,
spülen, den Müll runter bringen, da noch in der Ecke
wischen. Zu den Freunden sagt sie oft Sätze wie: "Minchen war
nicht brav. Er hat Hausarrest. Minchen darf nicht mit zum Spielen." Und
"Minchen" schweigt und lächelt, wie er das immer macht.
Die
Demütigungen
Armin
Meiwes hat schon früh aufgegeben, sich gegen die
Demütigungen der Mutter zu wehren. Der Übermacht ist
er nicht gewachsen. Sie formt ihn zu einem Menschen ohne eigene
Identität. "Zu einem, der allen gefallen will, der irgendwie
keine eigene Meinung hat, der immer nachgibt", sagt ein Bekannter. Der
jüngste Sohn ist der letzte Mann, den Waltraud Meiwes an sich
ketten kann.
Auf
Familienfotos sieht man die Mutter so gut wie nie lachen. Ihr Blick
wirkt düster und entschlossen. In Waltrauds Universum
zählt offenbar nur sie selbst. Irrsinnig vor Eifersucht zeigt
sie eine Bekannte ihres Mannes wegen Mordes an. Der Vorwurf ist aus der
Luft gegriffen. Bei klärenden Gesprächen reagiert sie
mit hysterischen Anfällen und täuscht eine Ohnmacht
vor.
In
kleinen Heften schreibt sie ihre Familiengeschichte auf und
lässt sie drucken. Von Schlachten der Vorfahren
erzählt sie, in den napoleonischen Kriegen und im Ersten
Weltkrieg, von ihrer Flucht als junge Frau im Zweiten Weltkrieg.
Über ihre Söhne und Ehemänner verliert sie
kein Wort.
"Sie
war halt schrullig", sagt Meiwes zum stern, als der ihn in der
Untersuchungshaft besucht. Im Polizeiverhör hat er ausgesagt,
die Mutter sei innerlich verhärtet gewesen, nachdem der Vater
weg war und die Familie auseinander brach. Da habe sie sich nicht mehr
für ihre Kinder interessiert. Es wirkt nicht so, als
berühre Meiwes das sonderlich.
Der
Traum
Schon
als Kind lebt er in der Nacht seinen Traum von einer richtigen
Familie. Wenn er allein im Bett liegt, spricht er zu einem
jüngeren Bruder, den es nicht gibt. "Frank" nennt er ihn. Wie
den netten Kerl aus der Schule. Frank wird die Person seines
Vertrauens. Ein Partner, der zuhören kann und nicht
widerspricht. Er erzählt ihm, wie er sich nach dem Vater
sehnt. Welche Jungs aus der Schule er sympathisch findet. Dass er
besonders jenen Bruder vermisst, mit dem er sein Zimmer teilte. Mit dem
sechs Jahre Älteren habe er erste sexuelle Erfahrungen
gesammelt, behauptet Meiwes nach seiner Festnahme. Der Bruder
bestreitet das, auch der Staatsanwalt wird Meiwes die Geschichte nicht
glauben. Er habe sie erfunden, um mit dem angeblichen Missbrauch seine
perversen Neigungen zu rechtfertigen.
Die
Kindheitsfantasien
Armin
ist etwa zwölf Jahre alt, als er das erste Mal in der
Fantasie einen Klassenkameraden zerstückelt und verspeist. Der
wird mich nie wieder verlassen, denkt er, endlich habe ich jemanden,
der immer bei mir ist. Der Junge habe beim Gedanken an Menschenfleisch
Nähe, Geborgenheit und Sicherheit empfunden, vermutet der
Psychiater, der für die Staatsanwaltschaft Kassel ein
Gutachten erstellte.
Die
Suche nach Liebe verknüpft Armin im Unterbewusstsein mit
Szenen, die er aus seinem Alltag kennt: Bei den Nachbarn hat er schon
oft Hausschlachtungen mitangesehen. Er hat dabei geholfen, die Tiere
auszunehmen: Schweine, Enten, Hühner, Gänse, ein Reh,
ein Wildschwein. Schlachten ist etwas Normales für ihn.
Die
wüsten Gedanken, die ihm nachts den Schlaf rauben, werden
ihn nie wieder verlassen. Später, wenn er seine sexuellen
Begierden im Internet verbreitet, wird Meiwes den Tarnnamen "Franky"
tragen. Er ist 18 Jahre alt, als er mit der Mutter umzieht. Seit den
60er Jahren besitzt die Familie im Hessischen einen alten Gutshof. Ein
monströses Fachwerkhaus mit 44 Zimmern, für 40000
Mark erstanden, mit morschen Balken und einem Pferdestall im
großen Garten, von weiten Wiesen umgeben.
"Das
Geisterhaus"
Eine
landschaftliche Idylle in Wüstefeld am Rande der
Kleinstadt Rotenburg, nahe an der Fulda. Armin war als Kind oft mit
Freunden da, sie nannten es "das Geisterhaus", weil es so
düster war und muffig roch. Es gab Ponys, eine Katze und einen
Hund. Armin mochte Tiere.
Die
Mutter stattet das Haus nach ihrem Geschmack aus: antike
Möbel, Gründerzeit und Biedermeier. Zu viel Inventar,
als dass Übersicht herrschen könnte in den
verwinkelten Zimmern. Blümchentapeten. Die meisten
Räume werden zu Gästezimmern. Die Betten sind immer
frisch bezogen, falls Besuch zum Übernachten kommt. Aber es
kommt keiner.
Auf
die Türen der Zimmer malt Waltraud Meiwes poetische Namen:
"Sonnenglanz" heißt ihr Schlafzimmer, "Frühtau" ihr
Ankleideraum. Oben unterm Dach, auf fast 25 Quadratmetern, baut sie
eine Modelleisenbahn auf. Mit Fachwerkhäusern in allen
Größen, alten Schlössern,
Bauernhöfen und vielen Tieren. Menschen sieht man keine, auch
nicht auf den Gemälden an den Wänden. Das Zimmer, in
dem die Eisenbahn steht, heißt "Schau ins Land".
Waltraud
Meiwes ist höflich zu den seltenen Gästen,
die zum Nachmittagskaffee kommen, und herrisch zu ihrem Sohn, der den
Haushalt erledigt. Sie schickt Armin vor, wenn die Nachbarn mal wieder
am Feiertag Rasen mähen. Und beim Rapsblütenfest des
Dorfes steht sie um 22 Uhr in der Festscheune und brüllt, dass
es zu laut sei. Den erwachsenen Sohn schickt sie vor aller Augen nach
Hause ins Bett.
Der
Soldat
Armin,
gewohnt zu dienen, verpflichtet sich 1981 für
zwölf Jahre bei der Bundeswehr, macht die Ausbildung zum
Unteroffizier und Verwaltungsfachangestellten. Er ist die meiste Zeit
in Rotenburg stationiert, jeden Abend fährt er nach Hause.
Zuletzt dient er als Oberfeldwebel in der Materialgruppe des
Panzergrenadierbataillons 52. Sechs Kameraden, vier Unteroffiziere und
zwei zivile Mitarbeiter sind ihm unterstellt.
Er
ist ein korrekter Soldat, immer zehn Minuten zu früh bei
der Arbeit, ein Vorgesetzter ohne Härte. Genehmigt jeden
Antrag auf früheren Dienstschluss. Hilft seinen Mitarbeitern
beim Renovieren. Springt bei der Hochzeit des Sohnes eines Untergebenen
als Kellner ein. Und nimmt auf Ausflügen der Truppe seine
Mutter mit. Sie übernachten zusammen im Doppelzimmer.
Der
Karriereplan
Für
die Zeit nach dem Bund träumt er von einer
Karriere als Selbstständiger. Plant mit einem der
Brüder, in dem Gutshof eine Computerschule einzurichten.
Fängt an zu renovieren, bis das Geld ausgeht. Später
will er eine Internetfirma für Arzneimittel gründen.
Es bleibt bei den ehrgeizigen Plänen. Den Mut, sie umzusetzen,
hat Armin Meiwes nie.
Beim
Kasseler Rechenzentrum TSG bekommt er einen Job als Techniker im
Außendienst. Er repariert für Banken Geldautomaten,
Computer und Bildschirme, gilt als zuverlässig und
fleißig, schafft mehr als jeder andere. Von den knapp 3000
Mark Nettolohn kauft er sich alte Autos, neben dem Computer sein
einziges Hobby. Zwei Trabis, ein Wartburg, ein alter Mercedes Benz 108.
Im Garten nimmt er sie auseinander, richtig zusammengebaut werden sie
nie. Den Rest des Geldes gibt er zu Hause ab.
Das
Geheimnis
Wenn
der Alltag vorüber ist, begibt sich Meiwes in die Welt
seiner Kindheitsfantasien. Er liest Bücher, die von Kannibalen
handeln: über Robinson Crusoe und Jeffrey Dahmer, den
legendären Serienmörder und Menschenfresser aus den
USA. Er nimmt Berichte im Fernsehen auf, über den Vietnamkrieg
und Fritz Haarmann, den "Vampir von Hannover", der in den 20er Jahren
mehr als 20 junge Männer brutal ermordete. Meiwes schneidet
Fotos von Körperteilen aus Katalogen und klebt sie auf einen
gezeichneten Grill. Er zerlegt Barbiepuppen in ihre Einzelteile. Die
bewahrt er in einem Tresor auf, damit sie die Mutter nicht findet. Die
dargestellten Fantasien sind sein einziges Geheimnis vor ihr.
Mit
einer Videokamera filmt er sich selbst: Er hält sich ein
Messer an den Hals und beschmiert seinen Körper mit Ketchup,
das er mit Paprikagewürz anreichert, damit es
dickflüssiger wird, wie echtes Blut. In seinem Kinderzimmer
zieht er sich an einem Flaschenzug hoch, die Beine nach oben. Er
modelliert einen Körper aus Marzipan, bestreicht ihn mit
Kakaopulver und steckt kleine Stäbchen aus Lötzinn
hinein. Sie sollen Messer und Gabel darstellen. Aus Schweinefleisch
formt er einen Penis und legt sein eigenes Glied daneben, auf einem
Frühstücksbrettchen. Die Mutter sieht inzwischen fern
oder liegt schon im Bett. Der Sohn masturbiert, als er sich seine
selbst gedrehten Szenen ansieht.
Der
Kollege, Freund und
Nachbar
Nach
außen hin bleibt er weiter der hilfsbereite, freundliche
und etwas naive Kollege, Freund und Nachbar. Der nie besonders
auffällt, aber extrem höflich ist. Der gern und oft
lächelt und mit seiner ruhigen, warmen Stimme Charme
verbreitet. Der nicht hässlich ist, auch nicht besonders
schön, doch immer akkurat gekleidet und glatt rasiert. Mit
blassem Gesicht und kurzem, dunkelblondem Haar, das sich über
der Stirn lichtet. Er hilft beim Holzhacken. Fährt mit den
Arbeitskollegen in den Urlaub, spielt für die Nachbarskinder
den Nikolaus. Verpasst kaum ein Fest, auf den traditionellen
"Wüstefelder Runden" gehört er zu den Letzten, die
nach Hause gehen.
Zu
seinen libanesischen Nachbarn hat er besten Kontakt: Er
mäht ihnen den Rasen, repariert ihre Autos und lädt
sie zum Essen ein. Vor allem aber kümmert er sich um die
Söhne: Dem ältesten bringt er das Autofahren bei, mit
dem jüngeren spielt er mit der Modelleisenbahn. Die Nachbarn
sind begeistert. Hinweise, dass er die Kinder sexuell bedrängt
hat, gibt es nicht. Als die Libanesen in ihre Heimat
zurückkehren, besucht er sie viermal. Fotos zeigen ihn, wie er
ein Mädchen auf dem Arm hält und zärtlich
über dessen Kopf streicht.
Meiwes
schwärmt von einer eigenen Familie mit vielen Kindern.
Als eine Bekannte aus Wüstefeld wegzieht, vermacht sie ihm
ihre Kinderschaukel. Das lila- und pinkfarbene Gestell steht seitdem im
Garten des Gutshofes und rostet vor sich hin. Als ihn ein Nachbar
fragt, warum er denn nicht heirate, sagt Meiwes: "Vielleicht irgendwann
einmal, wenn Mutter tot ist."

Armin Meiwes
Die
Beziehungen
Eine
richtige Freundin hat Meiwes nie gehabt. Er prahlt vor Kollegen
mit seinen Beziehungen, stellt im Büro das Bild einer Frau auf
den Schreibtisch. Behauptet, mit ihr schon im Bett gewesen zu sein. Die
Frau sagt später bei der Polizei aus, mehr als ein Kuss sei
nie gewesen. Meiwes erzählt, er sei verlobt. Dabei hatte er
einer Bekannten nur mal einen Ring geschenkt. Als er
tatsächlich einmal den Antrittsbesuch bei einer Angebeteten
macht, sitzt seine Mutter im Auto auf dem Rücksitz. Meiwes ist
erstaunt, dass sich seine Bekannte darüber aufregt. Er selbst
kennt es nicht anders.
Zur
sicheren Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht
bedürfe es eines sicheren männlichen
Identitätskerns, den Armin Meiwes nicht aufweise, schreibt der
psychiatrische Gutachter. Nach seiner Einschätzung habe sich
Meiwes von seiner ersten großen Liebe, der Mutter, nie
gelöst. Der Vater und die Brüder hätten
gefehlt, um eine männliche Identität entwickeln zu
können. In seiner kranken Fantasie wolle Meiwes zum Mann
werden, in dem er sich einen anderen Mann einverleibe - und damit
für immer an sich binde.
Waltraud
Meiwes stirbt am 2. September 1999 im Alter von 77 Jahren in
ihrem Bett. Der Sohn ist 37 Jahre alt. "Es ist furchtbar, jetzt bin ich
ganz alleine auf der Welt", sagt er später. Er habe den
Augenblick gespürt, als seine Mutter starb, obwohl er nicht zu
Hause gewesen sei. In seinem Körper habe sich alles
zusammengekrampft, erzählt er. Es ist der Zeitpunkt, an dem
die allmächtige Kontrolle ihr Ende hat. Und die kannibalischen
Fantasien konkreter werden und brutaler.
Die
Vorbereitung
Meiwes
lässt sich einen Internetzugang im Haus einrichten und
speichert Bilder auf seinem Computer. Im Verzeichnis "Grausam" sammelt
er Fotos von Unfallopfern und abgetrennten Körperteilen. Im
Verzeichnis "Fleisch" eingescannte Bilder aus Lebensmittelprospekten.
Im Videorecorder liegt immer eine Cassette bereit, falls im Fernsehen
Berichte über Leichenöffnungen oder
Serienmörder kommen. Erst spät in der Nacht geht er
ins Bett. Im Regal seines Zimmers steht die komplette Sammlung von Walt
Disneys lustigen Taschenbüchern.
Im
Netz findet er Gleichgesinnte, denen er zum ersten Mal von seinen
Träumen erzählen kann. Er schätzt, dass es
über 800 sind, in Internetforen, die "Verspeist", "Gourmet"
oder "Cannibal-Cafe" heißen. Mit 430 von ihnen nimmt er
Kontakt auf. Bei Yahoo richtet er einen Chatraum ein. Es ist seine
Plattform, in der er Selbstgedichtetes veröffentlicht.
"Der
Strichjunge"
Die
Kurzgeschichte "Der Strichjunge" ist die detaillierte Beschreibung
einer Tötung. Armin Meiwes hat sie unter seinem Tarnnamen
"Franky" aufgeschrieben: "Der Stricher sagte: Ich habe nur Dich und ich
will auch nur Dich, lass mich ein Teil von Dir werden. Ich sagte: Das
geht nicht, es sei denn, ich esse Dich auf. Er sagte: Dann schlachte
mich, außer Dir interessiert sich sowieso keiner für
mich. Ich entgegnete: Aber ich liebe Dich doch! Er sagte: Gerade
deshalb musst Du es machen, oder ich bringe mich um. Ich
spürte ein unheimliches Gefühl in mir, es war, als
verbinden sich unsere Seelen."
Über
50 Schlachtgeschichten und Anleitungen speichert Meiwes
auf seiner Festplatte. Darunter Essays, die dafür werben,
durch Kannibalismus die Überbevölkerung in der
Dritten Welt einzudämmen. Oder Rezepte für "Panierte
Jungenleber" und "Penis mit Rotwein". Die Geschichte "Auswahl des
richtigen Jungen" dient ihm später als Anleitung, wenn er
seine grausame Fantasie Wirklichkeit werden lässt. "Man nimmt
ein scharfes, großklingiges Messer und öffnet die
Bauchdecke vom Schambein bis zum Brustbein."
Das
Doppelleben
Jahrelang
sammelt Meiwes Bilder und Texte. Die Nachbarn bemerken bis
spät in der Nacht Licht in seinem Arbeitszimmer. Sein
Doppelleben funktioniert: Er erscheint jeden Tag pünktlich zur
Arbeit im Kasseler Rechenzentrum, und er ist noch immer auf der Suche
nach einer Frau fürs Leben. Meldet sich bei einem
Heiratsinstitut an - vergebens. Geht abends in den Puff "Blue Moon" -
und schläft am Tresen ein. Silvester 1999 lernt er eine Frau
kennen, 36, Mutter dreier Kinder. Sie ist begeistert von seiner
Höflichkeit und seinem Umgang mit den Kleinen. Sie gehen
zusammen in die Disco, halten beim Spaziergang Händchen.
Als
er ihr beichtet, auch auf Männer zu stehen, bricht sie den
Kontakt ab. "Du und die Kinder, ihr seid mir die liebsten Menschen",
schreibt er in einem Liebesbrief. Eine Mutter, die in jeder Lebensphase
immer erst an ihre Kinder denke, sei die beste und schönste
Frau auf Erden. Er schickt den Brief nie ab.
Der
Kontakt zu den Nachbarn wird spärlich. Die Söhne
der Familien dürfen ab und zu noch zum Spielen kommen, in das
alte, schaurige Gutshaus. Abends zündet er ein Lagerfeuer an
und grillt das Fleisch, das die Jungs mitgebracht haben. Meiwes
lässt sie am Computer spielen und fernsehen. Als die
Jugendlichen ihn drängen, auch mal "Das Schweigen der
Lämmer" anzusehen, sagt Meiwes, solche Filme seien bei ihm
nicht erlaubt.
Der
Schlachtraum
Nachts
im Internet zeigt er sich anders. In den Kannibalen-Foren
schreibt Armin Meiwes 60 Kontaktanzeigen: "Suche jungen, gut gebauten
Mann, der sich von mir gerne fressen lassen würde.
Aussagekräftige Körperfotos erwünscht." Als
sich im Frühjahr 2000 ein "Matteo" meldet, der sich von ihm
quälen, töten und essen lassen will, richtet Meiwes
im zweiten Stock des Hauses einen Schlachtraum ein.
In
die ehemalige Räucherkammer des Gutshofes stellt er ein
Bett aus Eisen und einen Biergartentisch. Neben das Bett zwei
Nachttische, in einen legt er ein Fix-und-Foxi-Heft, auf den anderen
stellt er einen Raumerfrischer, Limonenduft. Neben das Bett zwei
Heizstrahler, weil Matteo lebendig gegrillt werden will. An die Wand
nagelt er zwei Holzleisten, die ein Andreaskreuz bilden. Daran
hängt er zwei Schaufensterpuppen aus Gummi, die er im Internet
ersteigert hat. Aus der Verpackung eines Kaminbaukastens bastelt er
einen Käfig, aus einer Regenschirmhülle und einem
Fernsehkabel eine Peitsche. Er holt ein Beil der Großmutter
aus dem Küchenschrank und legt es auf den Tisch. Bei Beate
Uhse kauft Meiwes noch eine neunschwänzige Peitsche. Die
Wände dämmt er mit Matratzen und nagelt eine
Pressspanplatte davor. Er stellt zum Test das Radio laut und geht nach
draußen. Der Raum isoliert gut. Er macht Bilder des
Schlachtzimmers und mailt sie an Matteo.
Die
Interessenten
Der
meldet sich nicht wieder, dafür schreiben andere
Interessenten. Sie nennen sich "Schlachtjunge",
"Mädchenfleisch" oder "Meat4food". Junge Männer, die
der Gedanke an Menschenfleisch erregt. Einer erzählt im Chat,
dass er gern einen Schlachthof beobachte und sich vorstelle, es
würden Menschen getötet. Meiwes vereinbart mehr als
30 Treffen, um seine möglichen Opfer kennen zu lernen. Er
setzt sich ins Auto und fährt nach Holland, Dresden und
Hamburg. Die meisten bestellt er an den Bahnhof nach Kassel. Doch alle
Verabredungen platzen, bis er im Juli 2000 einen "Jörg" aus
Füssen kennen lernt.
Der
31-jährige Hotelkoch bietet zwei seiner Arbeitskollegen
zum Verzehr an. Im Chat malen sich beide aus, wie sie die
jüngeren Männer mit einem Gummihammer
betäuben und im Schlachtraum zerteilen. Jungenmagen, mit
Hackfleisch gefüllt, sei ein gutes Rezept, schreibt
Jörg. Er könne es kaum erwarten, bis das erste zarte
Fleisch auf seiner Zunge liege, antwortet Meiwes. Er gibt nur vor, an
den beiden Kollegen interessiert zu sein. In Wahrheit hofft er, dass
sich Jörg selbst als sein Opfer anbietet. Er wäre der
ideale Schlachtjunge.
Meiwes
drängt Jörg zu einem Treffen.
Zunächst sehen sie sich in einem Rasthof, später im
Gutshaus und in einem Kasseler Hotel. Meiwes erklärt ihm,
welche Fleischstücke sich unter der Haut verbergen und
markiert die Partien mit Buntstiften auf Jörgs nackten
Körper. Der lässt sich fesseln und am Flaschenzug
hochziehen. Immer wieder versucht Meiwes, sein Opfer zu
überreden, sich von ihm schlachten zu lassen. Doch
Jörg lehnt ab: Er will die Schlachtung nur spielen, weil es
ihn sexuell erregt.
Meiwes
hätte Jörg töten können, als
er wehrlos gefesselt auf seiner Schlachtbank lag. Aber er bindet ihn
los und lässt ihn wieder fahren. Er will nur einen Mann
schlachten, der damit einverstanden ist. Am 5. Februar 2001 liest er in
einer Kannibalen-Newsgroup die Anzeige eines "Cator": "Ich biete an,
mich von Euch bei lebendigem Leib verspeisen zu lassen. Keine
Schlachtung, sondern Verspeisung!! Also, wer es WIRKLICH tun will, der
braucht ein ECHTES OPFER!!" Meiwes schreibt sofort zurück.

Bernd
Jürgen Brandes
Das
Opfer
Bernd
Jürgen Brandes ist fünf Jahre alt, als die
Mutter aus seinem Leben verschwindet. Beim Urlaub auf Sylt im Sommer
1963 fährt sie mit dem Auto gegen einen Baum. Der Vater, ein
Allgemeinmedziner mit eigener Praxis im Berliner Stadtteil Zehlendorf,
glaubt nicht an einen Unfalltod. Seine Frau habe sich das Leben
genommen, meint er. Wegen eines Kunstfehlers, den sie als
Anästhesistin verschuldet hatte, war im Krankenhaus ein
Patient gestorben. Die tödliche Panne, sagt der Vater, habe
sie nicht verkraftet. Mit seinem Sohn spricht er nie über
ihren Tod. Der macht sich seine eigenen Gedanken.
Vielleicht
glaubt der Junge, er sei schuld am Tod der Mutter. Und
womöglich, so der Gutachter, habe er diese
Schuldgefühle mit dem Thema verbunden, das Jungen in diesem
Alter sehr beschäftige: dem Begreifen der eigenen
Männlichkeit. Und der Bedeutung der Genitalien. Im
irrationalen Kurzschluss, schreibt der Psychiater, könnte
Brandes sein Geschlecht verantwortlich gemacht haben für den
Tod der geliebten Mutter. Seine totale Vernichtung und unendliches Leid
könnten dem kleinen Jungen als einziger Ausweg erschienen
sein, den Tod zu sühnen. Seinem Schlächter Meiwes
erzählt Bernd Brandes, dass er schon als Kind davon
geträumt habe, gebraten und gegessen zu werden.
Der
Vater heiratet drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau wieder.
Bis dahin betreuen Bernd die meiste Zeit Au-pair-Mädchen, er
ist ein umgängliches Kind. Auch mit der Stiefmutter kommt er
gut klar, und in der Schule gibt es keine Probleme. Das Abitur schafft
er mit einem Notendurchschnitt von 2,3. An der TU-Berlin studiert
Brandes Elektrotechnik, die Prüfung zum Diplomingenieur
besteht er 1986 mit "gut". Ein Leben in scheinbar festen Bahnen.
Bereits
vor seinem Examen entwickelt er als Werksstudent
Computersoftware bei Siemens. Er bekommt schnell eine feste Stelle und
wird nach vier Jahren zum Abteilungsleiter befördert. Seine
acht Untergebenen schätzen den umsichtigen und freundlichen
Chef. Unter anderem testet Brandes die Software von Telefonanlagen und
entwirft Beschreibungen für die Kunden. Er gilt als weltweit
anerkannter Spezialist auf seinem Gebiet.
Der
Kopfmensch
1987
lernt er Ariane B. kennen. Die drei Jahre jüngere Frau
meldet sich auf seine Kontaktanzeige im Berliner Stadtmagazin "TIP".
Liebe auf den ersten Blick ist es nicht. Aber die beiden mögen
sich. Brandes kann gut zuhören, hat sein Leben offenbar fest
im Griff und ist bestens or- ganisiert. Er ist ein Kopfmensch, genau
wie seine Freundin. Nach einem Jahr ziehen sie zusammen. Eine gute
Beziehung, auch im Bett klappt es. Bernd Brandes
äußert keine ungewöhnlichen
Wünsche, keine Sehnsucht nach Erniedrigung und Schmerzen.
Seltsam
findet Ariane nur sein Verhältnis zum Vater.
Unterkühlt gehen sie miteinander um. Selbst als Erwachsener
traut Brandes sich nicht, dem Vater zu sagen, dass er raucht. Der Alte
ist überzeugter Nichtraucher. Bernd qualmt nicht selten eine
Packung weg, wenn er nächtelang vor seinem Computer
hängt. Er gründet den Berliner Computer-Club "The
Best in Town". Für die 120 Mitglieder fungiert er als eine Art
Vorläufer der Internet-Provider. Er schaltet eine Mailbox, in
die sich die Mitstreiter einwählen können, und
verbindet die Wunschpartner dann miteinander.
Die
Beziehung zu Ariane, die mittlerweile an Multipler Sklerose
erkrankt ist, endet 1994. Sie haben sich nichts mehr zu sagen. Daran
ändert auch eine Paarberatung nichts. Brandes will nicht
über seine Gefühle sprechen.
Nach
der Trennung wird er immer häufiger bei den Strichern am
Bahnhof Zoo gesehen. Auf den dunkelhäutigen Immanuel, den er
im Herbst 1995 anspricht, wirkt Brandes verklemmt und unsicher. Mit dem
Jungen entwickelt sich eine Freundschaft, die über den
bezahlten Sex hinausgeht. Die beiden reden viel miteinander, gehen
spazieren, in die Disco oder ins Kino. Brandes meldet sich in einem
Fitnessstudio an, kauft sich für 899 Mark ein silberfarbenes
Mountain-Bike und schwärmt im Büro von seinem
muskulösen Körper.
Die
Wünsche
Beim
Sex mit Immanuel äußert er immer ausgefallenere
Wünsche. Der junge Stricher soll drohen, ihn auszupeitschen.
Muss ihm in den Penis und die Hoden beißen, oft zweimal am
Tag. Erst wenn der Schmerz unerträglich wird, stoppt Brandes
die Tortur. Einmal gibt er ihm ein Fleischermesser. "Schneid ihn ab, du
kannst dafür haben, was du willst", sagt er. Im Rollenspiel
geht der Stricher mit Worten auf die Wünsche ein. Er glaubt
nicht, dass sein Freier wirklich verstümmelt werden will.
Bernd
Brandes ist mal mit Frauen zusammen, mal mit Männern.
Bei Freunden und Kollegen outet er sich als bisexuell, prahlt, dass er
auch mit Männern gehe. Seine Partner lernt er meist
über Annoncen kennen. Ende 1999 zieht Rene J. bei ihm ein. Die
zwei haben sich auf einer Fete kennen gelernt. Gewalttätigen
Sex verlangt Brandes nie von dem Freund. Vielleicht, weil er sich vor
ihm schämt.
Der
Lebensgefährte
Die
beiden leben zusammen wie ein altes Ehepaar. Als Brandes von
Siemens eine Erfolgsprämie über 15000 Mark
erhält, kauft er einen teuren Fernseher, Stereoanlage, Handys,
Drucker und einen Kühlschrank. Anschaffungen für die
gemeinsame Zukunft, glaubt der Freund. Doch die plant Brandes schon
lange nicht mehr.
Wenn
der Lebensgefährte nachts um halb zwei zur Arbeit in die
Bäckerei geht, macht Bernd Brandes den Computer an. "Cator",
nennt er sich, "geboren als Fleisch", und schaltet Anzeigen in den
Kannibalen-Newsgroups.
Im
Chat meldet sich am 5. Februar 2001 ein "Franky". Der sucht junge
Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die sich schlachten lassen
wollen. In seiner ersten Mail an Franky macht Brandes sich sieben Jahre
jünger, um ihm zu gefallen. "Ich bin 36 Jahre, 175 cm und 72
kg schwer. Ich hoffe, Du meinst es wirklich ernst, weil ich es wirklich
will."
Die
Verabredung
Franky
schickt Cator Bilder seiner Zähne. Er werde sie in
seinen Körper bohren und ihm auch die Zunge
abbeißen, mailt er. Er sei kein Sadist, sagt Meiwes
später. Die Folterfantasien habe er nur vorgetäuscht,
um sein Opfer gefügig zu machen. Das werde nicht die
Hölle, sondern der Himmel auf Erden werden, antwortet Brandes.
Er will am Freitag, den 9. März 2001, nach Rotenburg kommen,
vor Freude könne er es kaum aushalten. Dafür sei er
geboren worden, werde am neunten sein Lebensziel endlich erreichen.
"Ich bin dein Cator, ich bin dein Fleisch!"
Bevor
sich Bernd Brandes in den Zug setzt, löscht er alle
verräterischen Daten auf seinem Computer und im Netz. Bei
Siemens beantragt er einen Tag Urlaub. Wegen seines Haarausfalls wolle
er zu einem Spezialisten nach London fliegen, sagt er den Kollegen.
Seine Fahrkarte nach Kassel bezahlt Brandes mit Bargeld, damit die
Polizei nach seinem Verschwinden keinen Hinweis auf das Reiseziel hat.
Er will aus dem Leben scheiden. Ohne eine Spur zu hinterlassen.
Der
9. März
2001
Armin
Meiwes holt am Vormittag des 9. März 2001 seinen
Verbündeten am Bahnhof in Kassel ab. Brandes ist ihm sofort
sympathisch. Auf der Fahrt nach Wüstefeld sprechen sie
über ihren Plan. Brandes will heute noch getötet
werden. Nicht erst in einer Woche. Er hat extra nichts gegessen, damit
der Darm leer ist.
Im
Gutshof zieht Brandes sich aus und setzt sich nackt an den Tisch im
Wintergarten. Es gibt Kaffee. Nach einer halben Stunde besichtigen sie
den Schlachtraum. Brandes akzeptiert den Verschlag als Sterbezimmer und
verlangt eine Kostprobe. Er will beim Sex gebissen werden, bis das Blut
kommt. Doch Meiwes beißt nicht fest genug. Brandes spornt ihn
an. Das werde wohl nichts, sagt er schließlich. Meiwes sei zu
gutmütig.
Bernd
Brandes will bei vollem Bewusstsein verstümmelt und
getötet werden. Doch er glaubt nicht, dass Meiwes dazu
fähig ist. Ihm fehle die nötige Härte.
Bestimmt sei es einfacher für ihn, wenn sein Opfer schlafe.
Meiwes holt eine Flasche Wick-Medi-Nait. Der Erkältungssaft
soll müde machen.
Brandes
trinkt die Flasche in einem Zug leer. Eine Stunde lang sitzen
sie noch zusammen, von Müdigkeit keine Spur. Das bringe alles
nichts, meint Brandes, will wieder nach Hause. Sie fahren
zurück nach Kassel zum Bahnhof. Auf der Fahrt redet Meiwes auf
ihn ein. Natürlich sei er in der Lage zu töten. Das
sei sein größter Wunsch. Er sei nicht zu
sanftmütig. Er könne das. Bestimmt.
Doch
Brandes kauft eine Fahrkarte nach Berlin. Nachdem er auf der
Toilette war, ändert er seine Meinung plötzlich
wieder: Meiwes soll in der Bahnhofsapotheke nun noch eine Flasche
Wick-Medi-Nait und eine Packung "Vivinox Schlafdragees" holen. Brandes
will es noch einmal versuchen. Sie fahren zurück nach
Wüstefeld, Brandes trinkt im Auto den Saft, 180 Milliliter,
schluckt zehn Schlaftabletten. Im Gutshaus schüttet er noch
eine halbe Flasche billigen Korn hinterher und nimmt die restlichen
zehn Tabletten. Sie legen sich auf das Bett im Schlachtraum.
Die
Zweifel
Brandes
wird immer noch nicht müde, er will Musik
hören. Meiwes holt ein Kofferradio. Eineinhalb Stunden liegen
die zwei auf der Pritsche. Sie rauchen Zigaretten, streicheln und
liebkosen sich. Aber Brandes schläft nicht ein. "Nun tue es,
schneid ihn doch endlich ab", sagt er plötzlich. Vielleicht
kippe er dann aus den Latschen. Meiwes schaltet seine Videokamera an.
Als er schneiden will, ist das Messer zu stumpf. Er zweifle langsam an
sich selbst, klagt er. Brandes verlangt eine schärfere Klinge,
und Meiwes holt das Schlachtmesser aus der Küche.
Brandes
schreit auf, als er verstümmelt wird. Aber er wird
nicht ohnmächtig. Schon bald spürt er keine Schmerzen
mehr. Alkohol und Medikamente haben ihn unempfindlich gemacht. Meiwes
verbindet die Wunde. Die Blutung soll so weit gestoppt werden, dass
Brandes seinen Wunsch noch verwirklichen kann: seine eigenen Genitalien
essen.
Meiwes
teilt den Penis in zwei Hälften. Eine für
sich, die andere für Brandes. Doch die Stücke sind zu
zäh. In der Küche blanchiert er das Fleisch,
brät es und würzt mit Pfeffer, Salz und Knoblauch. Er
beeilt sich, fürchtet, Brandes würde
ohnmächtig. Aber der Penis schrumpft in der Pfanne und
verkohlt. Er ist hart und ungenießbar.
Bernd
Brandes lässt sich davon nicht beeindrucken. In ein paar
Stunden könne man sich vielleicht seine Hoden teilen, sagt er.
Er kämpft darum, nicht ohnmächtig zu werden.
Wortreich freut er sich über das Blut, das aus dem Verband
tropft. Schwärmt von weiteren Verstümmelungen.
Zwischendurch legt er sich in die Badewanne, lässt warmes
Wasser einlaufen.
Die
Glücksgefühle
Meiwes
lässt ihn gewähren. Er versteht die
Glücksgefühle seines Opfers nicht. Will sie auch
nicht verstehen. Meiwes will schlachten und essen. Brandes soll in ihm
auferstehen. Ein echter Freund soll er sein, der immer bei ihm bleibt.
Brandes
aber will gar nicht auferstehen. Nichts soll von ihm
übrig bleiben. Sein Schädel und die Zähne
sollen zermahlen werden, sagt er. Um die "Abfälle" werde er
sich kümmern, sagt Meiwes. Zum Zeitvertreib liest er einen
Star-Trek-Roman.
Es
ist gegen halb vier in der Nacht, als Brandes zusammenbricht.
Meiwes, im dunkelblauen Schlafanzug, zieht die Gummistiefel an und
bindet eine Bettunterlage der verstorbenen Mutter als Schürze
um. Dann schaltet er die Videokamera wieder an. Mit den Aufnahmen will
Meiwes kein Geld machen. Er macht sie für sich. Die Bilder
sollen den Triumph seines Lebens immer wieder aufleben lassen.
Die
Schlachtbank
Meiwes
ist aufgeregt, als er Brandes auf die Schlachtbank hievt. Sein
Opfer lebt noch, atmet flach, der Brustkorb hebt und senkt sich. Als er
Brandes an die Halsschlagader fasst, fühlt er den rasenden
Puls. Er scheut sich zu töten. Am liebsten wäre ihm
gewesen, Brandes hätte sich aus dem Fenster zu Tode
gestürzt oder erhängt. Meiwes schließt die
Augen und küsst den Ohnmächtigen. "Ich muss es tun",
sagt er sich. Dann sticht er zu, mit einem Küchenmesser, die
Klinge misst 18 Zentimeter.
Es
sei ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, sagt Meiwes
hinterher der Polizei. Eine Mischung aus Hass, Wut, Macht und
Glück. Er habe sich gehasst, weil er es wirklich getan hat. Er
habe Brandes gehasst, der tatsächlich gekommen war. Er sei
wütend auf seine perversen Fantasien gewesen, berauscht von
seiner Macht über den toten Körper. Und so unendlich
glücklich, dass sein Lebenstraum in Erfüllung
gegangen sei. Es sei für ihn, als hätte er Brandes
geheiratet. Mehr noch: eine übersinnliche Verschmelzung. Dass
er dafür ins Gefängnis kommen könnte, sei
ihm egal gewesen.
Die
Schlachtung
Bernd
Brandes soll an diesem Glück teilhaben. Meiwes trennt
den Kopf vom Rumpf, legt ihn auf den Tisch. Er soll "zuschauen"
können, das hat Meiwes ihm versprochen. Er tätschelt
den rechten Oberarm der Leiche. Während Meiwes den
Körper zerteilt und etwa 30 Kilogramm Fleisch klein schneidet,
spricht er immer wieder mit dem Kopf. Er brauche sich keine Sorgen mehr
zu machen. Er werde nur sein Essen sein. Der Nächste, der
geschlachtet würde, solle schlanker sein, sagt er. Dann wolle
er es ohne das Drumherum machen. Kein langwieriges Vorspiel mehr, keine
Verstümmelung, kein Schnickschnack. Einfach nur schlachten,
nennt er das, nach "fleischhygienischen" Regeln.
Zwei
Tage nach Brandes Tod isst Meiwes das erste Menschenfleisch. Den
Rest hat er in blaue Gefriertüten verpackt und in die
Kühltruhe gelegt, unter die Fertigpizzen von Eismann. Er
brät sein "Steak" in Olivenöl und würzt es
mit Salz, Pfeffer, Knoblauch und Muskat. Dazu gibt es
Princess-Kartoffelbällchen, Rosenkohl und eine grüne
Pfeffersoße. Er trinkt einen südafrikanischen
Rotwein. Der Tisch ist feierlich dekoriert, mit Kerzenleuchtern. Aus
der Vitrine holt er das teure schwarze Geschirr. Das Fleisch schmecke
so ähnlich wie vom Schwein, erzählt er
später der Polizei, nur etwas herber.
Knochen,
Haut und Innereien vergräbt er nachts im Garten. Er
betet wie bei einer Beerdigung. Psalm 23, "Der Herr ist mein Hirte, mir
wird nichts mangeln? Er führet mich auf rechter
Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im
finstren Tal, fürchte ich kein Unglück? Gutes und
Barm- herzigkeit werden mir folgen mein Le- ben lang." Danach spricht
er ein "Vater unser".
Einen
Armknochen trocknet er im Backofen, zerraspelt ihn
anschließend mit einer Küchenreibe. Er habe mal
versuchen wollen, wie so etwas geht, sagt er später. Das
Knochenmehl deponiert er in einem alten Brotkasten. Den rohen
Fuß seines Opfers dekoriert er auf einer Platte, reibt ihn
mit Ketchup und Gewürzen ein. Dahinter stellt er eine Schale
mit heißem Wasser. Es soll aussehen, als dampfe der
Fuß. Er will ihn nicht verspeisen, nur ansehen. Meiwes ist
das erste Mal seit dem Todesstich sexuell erregt. Auch wenn er das
Schlachtvideo einlegt, muss er masturbieren.
Die
Entdeckung
Während
der folgenden Monate sucht Armin Meiwes weiter nach
Opfern. Er will jüngeres, zarteres Fleisch. Mit vier
Männern, aus Kassel, London, Essen und dem Odenwald, trifft er
sich zu Hause und in Hotels. Er legt sie nackt auf die Schlachtbank und
packt sie in Zellophanpapier. Steckt ihnen Nadeln mit Papierschildern
in die Haut, auf denen "Schinken" oder "Filet" steht.
Schließt sie in den Holzkäfig. Getötet
wollen sie alle nicht werden. Nur ein "Alex" fleht Meiwes an, ihn zu
köpfen. Dem aber ist der junge Mann zu dumm - und zu fett.
Die
Fotos seiner Rollenspiele stellt er ins Internet. Er habe schon
einen Menschen getötet und gegessen, prahlt "Franky" in den
Foren. Am 9. Juli 2001 meldet sich ein Student aus Innsbruck beim
Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Er war beim Chatten auf die
verräterischen Zeilen gestoßen. Zwei Monate dauert
es, bis der Anschluss von Franky identifiziert ist, kurz vor
Weihnachten wird das Haus durchsucht. Am selben Tag gesteht Armin
Meiwes seinem Anwalt, einen Menschen getötet zu haben. Der
rät ihm, sich der Polizei zu stellen. Einen Tag
später ergeht der Haftbefehl - Meiwes hat zu diesem Zeitpunkt
bereits 20 Kilo des Menschenfleisches verzehrt.
Er
sehe Brandes oft vor sich, sagt er der Polizei. In Gedanken fasse er
des- sen Körper an. Seitdem der Freund in ihm sei, sei er
psychisch viel stabiler geworden. Er fühle sich nicht mehr
allein, die innere Leere sei wie weggeblasen, sagt Meiwes. Er habe
sogar das Gefühl, einige Fähigkeiten von Brandes
übernommen zu haben. Der konnte zum Beispiel gut englisch
sprechen. Und Meiwes glaubt, er spreche jetzt deutlich besser englisch
als früher.
Die
Anklage
Die
Staatsanwaltschaft Kassel hat gegen Armin Meiwes Anklage wegen
Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes in Tateinheit mit
Störung der Totenruhe erhoben. Meiwes habe es als Nervenkitzel
empfunden, Bernd Brandes zu töten. Die kannibalischen
Handlungen und das Ansehen des Videofilms habe er als sexuell
stimulierend empfunden. Ihm sei zudem bewusst gewesen, dass Bernd
Brandes noch lebte, als er mit dem Messer zustach. "Tötung auf
Verlangen" scheidet nach Ansicht der Ankläger aus, weil Bernd
Brandes wegen seiner Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage
gewesen war, voll verantwortlich über seinen Tod zu
entscheiden. Nach Ansicht des psychiatrischen Gutachters ist der
Angeklagte voll schuldfähig.
Armin
Meiwes hofft auf ein mildes Urteil. Er bereut die Tat nicht. Nach
"vier bis fünf Jahren" werde er hoffentlich wieder frei sein,
sagt er dem stern. Den Gutshof in Wüstefeld will er nicht
verkaufen. Er werde gelegentlich dorthin zurückgehen, "in mein
Refugium".
Martin
Knobbe und Detlef Schmalenberg