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Der Kannibale
(aus www.stern.de)
 
Aus dem Kofferradio säuselt leise Musik, als Armin Meiwes seinen Freund umarmt. Er streicht ihm über die Arme, liebkost seinen Hals und die Wangen. "Mach dir keine Sorgen", flüstert er. Die Abendsonne senkt sich über dem alten Gutshof. Es ist ein Freitag im März, kurz vor Ostern im Jahr 2001. Die Männer zünden sich Zigaretten an. An den Wänden des Raumes glauben sie Umrisse von Tieren zu erkennen. Wie Kinder, die in einen Himmel voller Wolken schauen. "Da, siehst du den Steinbock?", fragt Bernd Brandes. "Oder ist es ein Esel?" Meiwes lacht. Kurze Zeit später holt er von nebenan ein Schlachtermesser, um den Freund zu töten.

Das Zimmer, in dem es passieren wird, ist eine ehemalige Räucherkammer. Der Ruß hat dunkle Spuren an den Wänden hinterlassen. Vier mal drei Meter misst das Verlies, fensterlos, erhellt von Neonlicht. Es riecht nach dem Moder eines jahrhundertealten Hauses. In der Ecke steht ein Bett aus rostigem Eisen, drei blaue Matratzenteile, darüber eine fleckige Steppdecke. In der Mitte des Raumes ein Biergartentisch. Die Fesseln, das Beil und ein Messer sind nebenan. Armin Meiwes Schlachtraum liegt im zweiten Stock.

Stundenlang kuscheln Meiwes und Brandes in dem Verschlag und liebkosen sich. Sie haben sich endlich gefunden. Es sind die Minuten vor einer Tat, die beide herbeigesehnt haben: Armin Meiwes wird Bernd Brandes erstechen, ausnehmen, zerlegen und aufessen. Zuvor wird er die Genitalien seines Opfers abschneiden, die sie gemeinsam verspeisen wollen. Es ist ein Verbrechen, das einzigartig ist in der deutschen Kriminalgeschichte.

Die Mutter
Armin Meiwes ist acht Jahre alt, als die Männer aus seinem Leben verschwinden. Zuerst der älteste Bruder, der zum Studieren nach Berlin geht. Dann der Vater, der sich von seiner 19 Jahre älteren Ehefrau trennt. Zuletzt der liebste Bruder, der auch nach Berlin zieht, weil die Mutter sich überfordert fühlt. Nur Armin bleibt in dem kleinen Haus in Essen-Holsterhausen. Er erlebt, wie eine verbitterte Frau ihre dritte gescheiterte Ehe beklagt. Und den Hass auf alle Männer schürt.

Nach außen ist er ein normaler Junge, gut in der Schule, vor allem in Mathe. Ein Junge, der sich manchmal prügelt und zu Hause gern Modellhäuser bastelt. Der ein bisschen schüchtern und verklemmt daherkommt, in seinem weißen Hemd mit Pünktchen darauf und der kurzen Lederhose. Es ist Anfang der 70er Jahre, die anderen Jungs tragen längst Jeans.

Mittags verabschiedet sich Armin von den Kumpels: Er müsse zu Hause helfen. Die Mutter sitzt auf dem Sofa, klagt über Kopfschmerzen und gibt Anweisungen: waschen, Fenster putzen, spülen, den Müll runter bringen, da noch in der Ecke wischen. Zu den Freunden sagt sie oft Sätze wie: "Minchen war nicht brav. Er hat Hausarrest. Minchen darf nicht mit zum Spielen." Und "Minchen" schweigt und lächelt, wie er das immer macht.

Die Demütigungen
Armin Meiwes hat schon früh aufgegeben, sich gegen die Demütigungen der Mutter zu wehren. Der Übermacht ist er nicht gewachsen. Sie formt ihn zu einem Menschen ohne eigene Identität. "Zu einem, der allen gefallen will, der irgendwie keine eigene Meinung hat, der immer nachgibt", sagt ein Bekannter. Der jüngste Sohn ist der letzte Mann, den Waltraud Meiwes an sich ketten kann.

Auf Familienfotos sieht man die Mutter so gut wie nie lachen. Ihr Blick wirkt düster und entschlossen. In Waltrauds Universum zählt offenbar nur sie selbst. Irrsinnig vor Eifersucht zeigt sie eine Bekannte ihres Mannes wegen Mordes an. Der Vorwurf ist aus der Luft gegriffen. Bei klärenden Gesprächen reagiert sie mit hysterischen Anfällen und täuscht eine Ohnmacht vor.


In kleinen Heften schreibt sie ihre Familiengeschichte auf und lässt sie drucken. Von Schlachten der Vorfahren erzählt sie, in den napoleonischen Kriegen und im Ersten Weltkrieg, von ihrer Flucht als junge Frau im Zweiten Weltkrieg. Über ihre Söhne und Ehemänner verliert sie kein Wort.

"Sie war halt schrullig", sagt Meiwes zum stern, als der ihn in der Untersuchungshaft besucht. Im Polizeiverhör hat er ausgesagt, die Mutter sei innerlich verhärtet gewesen, nachdem der Vater weg war und die Familie auseinander brach. Da habe sie sich nicht mehr für ihre Kinder interessiert. Es wirkt nicht so, als berühre Meiwes das sonderlich.

Der Traum
Schon als Kind lebt er in der Nacht seinen Traum von einer richtigen Familie. Wenn er allein im Bett liegt, spricht er zu einem jüngeren Bruder, den es nicht gibt. "Frank" nennt er ihn. Wie den netten Kerl aus der Schule. Frank wird die Person seines Vertrauens. Ein Partner, der zuhören kann und nicht widerspricht. Er erzählt ihm, wie er sich nach dem Vater sehnt. Welche Jungs aus der Schule er sympathisch findet. Dass er besonders jenen Bruder vermisst, mit dem er sein Zimmer teilte. Mit dem sechs Jahre Älteren habe er erste sexuelle Erfahrungen gesammelt, behauptet Meiwes nach seiner Festnahme. Der Bruder bestreitet das, auch der Staatsanwalt wird Meiwes die Geschichte nicht glauben. Er habe sie erfunden, um mit dem angeblichen Missbrauch seine perversen Neigungen zu rechtfertigen.

Die Kindheitsfantasien
Armin ist etwa zwölf Jahre alt, als er das erste Mal in der Fantasie einen Klassenkameraden zerstückelt und verspeist. Der wird mich nie wieder verlassen, denkt er, endlich habe ich jemanden, der immer bei mir ist. Der Junge habe beim Gedanken an Menschenfleisch Nähe, Geborgenheit und Sicherheit empfunden, vermutet der Psychiater, der für die Staatsanwaltschaft Kassel ein Gutachten erstellte.

Die Suche nach Liebe verknüpft Armin im Unterbewusstsein mit Szenen, die er aus seinem Alltag kennt: Bei den Nachbarn hat er schon oft Hausschlachtungen mitangesehen. Er hat dabei geholfen, die Tiere auszunehmen: Schweine, Enten, Hühner, Gänse, ein Reh, ein Wildschwein. Schlachten ist etwas Normales für ihn.

Die wüsten Gedanken, die ihm nachts den Schlaf rauben, werden ihn nie wieder verlassen. Später, wenn er seine sexuellen Begierden im Internet verbreitet, wird Meiwes den Tarnnamen "Franky" tragen. Er ist 18 Jahre alt, als er mit der Mutter umzieht. Seit den 60er Jahren besitzt die Familie im Hessischen einen alten Gutshof. Ein monströses Fachwerkhaus mit 44 Zimmern, für 40000 Mark erstanden, mit morschen Balken und einem Pferdestall im großen Garten, von weiten Wiesen umgeben.

"Das Geisterhaus"
Eine landschaftliche Idylle in Wüstefeld am Rande der Kleinstadt Rotenburg, nahe an der Fulda. Armin war als Kind oft mit Freunden da, sie nannten es "das Geisterhaus", weil es so düster war und muffig roch. Es gab Ponys, eine Katze und einen Hund. Armin mochte Tiere.

Die Mutter stattet das Haus nach ihrem Geschmack aus: antike Möbel, Gründerzeit und Biedermeier. Zu viel Inventar, als dass Übersicht herrschen könnte in den verwinkelten Zimmern. Blümchentapeten. Die meisten Räume werden zu Gästezimmern. Die Betten sind immer frisch bezogen, falls Besuch zum Übernachten kommt. Aber es kommt keiner.

Auf die Türen der Zimmer malt Waltraud Meiwes poetische Namen: "Sonnenglanz" heißt ihr Schlafzimmer, "Frühtau" ihr Ankleideraum. Oben unterm Dach, auf fast 25 Quadratmetern, baut sie eine Modelleisenbahn auf. Mit Fachwerkhäusern in allen Größen, alten Schlössern, Bauernhöfen und vielen Tieren. Menschen sieht man keine, auch nicht auf den Gemälden an den Wänden. Das Zimmer, in dem die Eisenbahn steht, heißt "Schau ins Land".


Waltraud Meiwes ist höflich zu den seltenen Gästen, die zum Nachmittagskaffee kommen, und herrisch zu ihrem Sohn, der den Haushalt erledigt. Sie schickt Armin vor, wenn die Nachbarn mal wieder am Feiertag Rasen mähen. Und beim Rapsblütenfest des Dorfes steht sie um 22 Uhr in der Festscheune und brüllt, dass es zu laut sei. Den erwachsenen Sohn schickt sie vor aller Augen nach Hause ins Bett.

Der Soldat
Armin, gewohnt zu dienen, verpflichtet sich 1981 für zwölf Jahre bei der Bundeswehr, macht die Ausbildung zum Unteroffizier und Verwaltungsfachangestellten. Er ist die meiste Zeit in Rotenburg stationiert, jeden Abend fährt er nach Hause. Zuletzt dient er als Oberfeldwebel in der Materialgruppe des Panzergrenadierbataillons 52. Sechs Kameraden, vier Unteroffiziere und zwei zivile Mitarbeiter sind ihm unterstellt.

Er ist ein korrekter Soldat, immer zehn Minuten zu früh bei der Arbeit, ein Vorgesetzter ohne Härte. Genehmigt jeden Antrag auf früheren Dienstschluss. Hilft seinen Mitarbeitern beim Renovieren. Springt bei der Hochzeit des Sohnes eines Untergebenen als Kellner ein. Und nimmt auf Ausflügen der Truppe seine Mutter mit. Sie übernachten zusammen im Doppelzimmer.

Der Karriereplan
Für die Zeit nach dem Bund träumt er von einer Karriere als Selbstständiger. Plant mit einem der Brüder, in dem Gutshof eine Computerschule einzurichten. Fängt an zu renovieren, bis das Geld ausgeht. Später will er eine Internetfirma für Arzneimittel gründen. Es bleibt bei den ehrgeizigen Plänen. Den Mut, sie umzusetzen, hat Armin Meiwes nie.

Beim Kasseler Rechenzentrum TSG bekommt er einen Job als Techniker im Außendienst. Er repariert für Banken Geldautomaten, Computer und Bildschirme, gilt als zuverlässig und fleißig, schafft mehr als jeder andere. Von den knapp 3000 Mark Nettolohn kauft er sich alte Autos, neben dem Computer sein einziges Hobby. Zwei Trabis, ein Wartburg, ein alter Mercedes Benz 108. Im Garten nimmt er sie auseinander, richtig zusammengebaut werden sie nie. Den Rest des Geldes gibt er zu Hause ab.

Das Geheimnis
Wenn der Alltag vorüber ist, begibt sich Meiwes in die Welt seiner Kindheitsfantasien. Er liest Bücher, die von Kannibalen handeln: über Robinson Crusoe und Jeffrey Dahmer, den legendären Serienmörder und Menschenfresser aus den USA. Er nimmt Berichte im Fernsehen auf, über den Vietnamkrieg und Fritz Haarmann, den "Vampir von Hannover", der in den 20er Jahren mehr als 20 junge Männer brutal ermordete. Meiwes schneidet Fotos von Körperteilen aus Katalogen und klebt sie auf einen gezeichneten Grill. Er zerlegt Barbiepuppen in ihre Einzelteile. Die bewahrt er in einem Tresor auf, damit sie die Mutter nicht findet. Die dargestellten Fantasien sind sein einziges Geheimnis vor ihr.

Mit einer Videokamera filmt er sich selbst: Er hält sich ein Messer an den Hals und beschmiert seinen Körper mit Ketchup, das er mit Paprikagewürz anreichert, damit es dickflüssiger wird, wie echtes Blut. In seinem Kinderzimmer zieht er sich an einem Flaschenzug hoch, die Beine nach oben. Er modelliert einen Körper aus Marzipan, bestreicht ihn mit Kakaopulver und steckt kleine Stäbchen aus Lötzinn hinein. Sie sollen Messer und Gabel darstellen. Aus Schweinefleisch formt er einen Penis und legt sein eigenes Glied daneben, auf einem Frühstücksbrettchen. Die Mutter sieht inzwischen fern oder liegt schon im Bett. Der Sohn masturbiert, als er sich seine selbst gedrehten Szenen ansieht.

Der Kollege, Freund und Nachbar
Nach außen hin bleibt er weiter der hilfsbereite, freundliche und etwas naive Kollege, Freund und Nachbar. Der nie besonders auffällt, aber extrem höflich ist. Der gern und oft lächelt und mit seiner ruhigen, warmen Stimme Charme verbreitet. Der nicht hässlich ist, auch nicht besonders schön, doch immer akkurat gekleidet und glatt rasiert. Mit blassem Gesicht und kurzem, dunkelblondem Haar, das sich über der Stirn lichtet. Er hilft beim Holzhacken. Fährt mit den Arbeitskollegen in den Urlaub, spielt für die Nachbarskinder den Nikolaus. Verpasst kaum ein Fest, auf den traditionellen "Wüstefelder Runden" gehört er zu den Letzten, die nach Hause gehen.

Zu seinen libanesischen Nachbarn hat er besten Kontakt: Er mäht ihnen den Rasen, repariert ihre Autos und lädt sie zum Essen ein. Vor allem aber kümmert er sich um die Söhne: Dem ältesten bringt er das Autofahren bei, mit dem jüngeren spielt er mit der Modelleisenbahn. Die Nachbarn sind begeistert. Hinweise, dass er die Kinder sexuell bedrängt hat, gibt es nicht. Als die Libanesen in ihre Heimat zurückkehren, besucht er sie viermal. Fotos zeigen ihn, wie er ein Mädchen auf dem Arm hält und zärtlich über dessen Kopf streicht.

Meiwes schwärmt von einer eigenen Familie mit vielen Kindern. Als eine Bekannte aus Wüstefeld wegzieht, vermacht sie ihm ihre Kinderschaukel. Das lila- und pinkfarbene Gestell steht seitdem im Garten des Gutshofes und rostet vor sich hin. Als ihn ein Nachbar fragt, warum er denn nicht heirate, sagt Meiwes: "Vielleicht irgendwann einmal, wenn Mutter tot ist."

Armin Meiwes
Armin Meiwes

Die Beziehungen

Eine richtige Freundin hat Meiwes nie gehabt. Er prahlt vor Kollegen mit seinen Beziehungen, stellt im Büro das Bild einer Frau auf den Schreibtisch. Behauptet, mit ihr schon im Bett gewesen zu sein. Die Frau sagt später bei der Polizei aus, mehr als ein Kuss sei nie gewesen. Meiwes erzählt, er sei verlobt. Dabei hatte er einer Bekannten nur mal einen Ring geschenkt. Als er tatsächlich einmal den Antrittsbesuch bei einer Angebeteten macht, sitzt seine Mutter im Auto auf dem Rücksitz. Meiwes ist erstaunt, dass sich seine Bekannte darüber aufregt. Er selbst kennt es nicht anders.

Zur sicheren Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht bedürfe es eines sicheren männlichen Identitätskerns, den Armin Meiwes nicht aufweise, schreibt der psychiatrische Gutachter. Nach seiner Einschätzung habe sich Meiwes von seiner ersten großen Liebe, der Mutter, nie gelöst. Der Vater und die Brüder hätten gefehlt, um eine männliche Identität entwickeln zu können. In seiner kranken Fantasie wolle Meiwes zum Mann werden, in dem er sich einen anderen Mann einverleibe - und damit für immer an sich binde.

Waltraud Meiwes stirbt am 2. September 1999 im Alter von 77 Jahren in ihrem Bett. Der Sohn ist 37 Jahre alt. "Es ist furchtbar, jetzt bin ich ganz alleine auf der Welt", sagt er später. Er habe den Augenblick gespürt, als seine Mutter starb, obwohl er nicht zu Hause gewesen sei. In seinem Körper habe sich alles zusammengekrampft, erzählt er. Es ist der Zeitpunkt, an dem die allmächtige Kontrolle ihr Ende hat. Und die kannibalischen Fantasien konkreter werden und brutaler.

Die Vorbereitung
Meiwes lässt sich einen Internetzugang im Haus einrichten und speichert Bilder auf seinem Computer. Im Verzeichnis "Grausam" sammelt er Fotos von Unfallopfern und abgetrennten Körperteilen. Im Verzeichnis "Fleisch" eingescannte Bilder aus Lebensmittelprospekten. Im Videorecorder liegt immer eine Cassette bereit, falls im Fernsehen Berichte über Leichenöffnungen oder Serienmörder kommen. Erst spät in der Nacht geht er ins Bett. Im Regal seines Zimmers steht die komplette Sammlung von Walt Disneys lustigen Taschenbüchern.

Im Netz findet er Gleichgesinnte, denen er zum ersten Mal von seinen Träumen erzählen kann. Er schätzt, dass es über 800 sind, in Internetforen, die "Verspeist", "Gourmet" oder "Cannibal-Cafe" heißen. Mit 430 von ihnen nimmt er Kontakt auf. Bei Yahoo richtet er einen Chatraum ein. Es ist seine Plattform, in der er Selbstgedichtetes veröffentlicht.

"Der Strichjunge"
Die Kurzgeschichte "Der Strichjunge" ist die detaillierte Beschreibung einer Tötung. Armin Meiwes hat sie unter seinem Tarnnamen "Franky" aufgeschrieben: "Der Stricher sagte: Ich habe nur Dich und ich will auch nur Dich, lass mich ein Teil von Dir werden. Ich sagte: Das geht nicht, es sei denn, ich esse Dich auf. Er sagte: Dann schlachte mich, außer Dir interessiert sich sowieso keiner für mich. Ich entgegnete: Aber ich liebe Dich doch! Er sagte: Gerade deshalb musst Du es machen, oder ich bringe mich um. Ich spürte ein unheimliches Gefühl in mir, es war, als verbinden sich unsere Seelen."

Über 50 Schlachtgeschichten und Anleitungen speichert Meiwes auf seiner Festplatte. Darunter Essays, die dafür werben, durch Kannibalismus die Überbevölkerung in der Dritten Welt einzudämmen. Oder Rezepte für "Panierte Jungenleber" und "Penis mit Rotwein". Die Geschichte "Auswahl des richtigen Jungen" dient ihm später als Anleitung, wenn er seine grausame Fantasie Wirklichkeit werden lässt. "Man nimmt ein scharfes, großklingiges Messer und öffnet die Bauchdecke vom Schambein bis zum Brustbein."

Das Doppelleben
Jahrelang sammelt Meiwes Bilder und Texte. Die Nachbarn bemerken bis spät in der Nacht Licht in seinem Arbeitszimmer. Sein Doppelleben funktioniert: Er erscheint jeden Tag pünktlich zur Arbeit im Kasseler Rechenzentrum, und er ist noch immer auf der Suche nach einer Frau fürs Leben. Meldet sich bei einem Heiratsinstitut an - vergebens. Geht abends in den Puff "Blue Moon" - und schläft am Tresen ein. Silvester 1999 lernt er eine Frau kennen, 36, Mutter dreier Kinder. Sie ist begeistert von seiner Höflichkeit und seinem Umgang mit den Kleinen. Sie gehen zusammen in die Disco, halten beim Spaziergang Händchen.

Als er ihr beichtet, auch auf Männer zu stehen, bricht sie den Kontakt ab. "Du und die Kinder, ihr seid mir die liebsten Menschen", schreibt er in einem Liebesbrief. Eine Mutter, die in jeder Lebensphase immer erst an ihre Kinder denke, sei die beste und schönste Frau auf Erden. Er schickt den Brief nie ab.

Der Kontakt zu den Nachbarn wird spärlich. Die Söhne der Familien dürfen ab und zu noch zum Spielen kommen, in das alte, schaurige Gutshaus. Abends zündet er ein Lagerfeuer an und grillt das Fleisch, das die Jungs mitgebracht haben. Meiwes lässt sie am Computer spielen und fernsehen. Als die Jugendlichen ihn drängen, auch mal "Das Schweigen der Lämmer" anzusehen, sagt Meiwes, solche Filme seien bei ihm nicht erlaubt.

Der Schlachtraum
Nachts im Internet zeigt er sich anders. In den Kannibalen-Foren schreibt Armin Meiwes 60 Kontaktanzeigen: "Suche jungen, gut gebauten Mann, der sich von mir gerne fressen lassen würde. Aussagekräftige Körperfotos erwünscht." Als sich im Frühjahr 2000 ein "Matteo" meldet, der sich von ihm quälen, töten und essen lassen will, richtet Meiwes im zweiten Stock des Hauses einen Schlachtraum ein.

In die ehemalige Räucherkammer des Gutshofes stellt er ein Bett aus Eisen und einen Biergartentisch. Neben das Bett zwei Nachttische, in einen legt er ein Fix-und-Foxi-Heft, auf den anderen stellt er einen Raumerfrischer, Limonenduft. Neben das Bett zwei Heizstrahler, weil Matteo lebendig gegrillt werden will. An die Wand nagelt er zwei Holzleisten, die ein Andreaskreuz bilden. Daran hängt er zwei Schaufensterpuppen aus Gummi, die er im Internet ersteigert hat. Aus der Verpackung eines Kaminbaukastens bastelt er einen Käfig, aus einer Regenschirmhülle und einem Fernsehkabel eine Peitsche. Er holt ein Beil der Großmutter aus dem Küchenschrank und legt es auf den Tisch. Bei Beate Uhse kauft Meiwes noch eine neunschwänzige Peitsche. Die Wände dämmt er mit Matratzen und nagelt eine Pressspanplatte davor. Er stellt zum Test das Radio laut und geht nach draußen. Der Raum isoliert gut. Er macht Bilder des Schlachtzimmers und mailt sie an Matteo.

Die Interessenten
Der meldet sich nicht wieder, dafür schreiben andere Interessenten. Sie nennen sich "Schlachtjunge", "Mädchenfleisch" oder "Meat4food". Junge Männer, die der Gedanke an Menschenfleisch erregt. Einer erzählt im Chat, dass er gern einen Schlachthof beobachte und sich vorstelle, es würden Menschen getötet. Meiwes vereinbart mehr als 30 Treffen, um seine möglichen Opfer kennen zu lernen. Er setzt sich ins Auto und fährt nach Holland, Dresden und Hamburg. Die meisten bestellt er an den Bahnhof nach Kassel. Doch alle Verabredungen platzen, bis er im Juli 2000 einen "Jörg" aus Füssen kennen lernt.

Der 31-jährige Hotelkoch bietet zwei seiner Arbeitskollegen zum Verzehr an. Im Chat malen sich beide aus, wie sie die jüngeren Männer mit einem Gummihammer betäuben und im Schlachtraum zerteilen. Jungenmagen, mit Hackfleisch gefüllt, sei ein gutes Rezept, schreibt Jörg. Er könne es kaum erwarten, bis das erste zarte Fleisch auf seiner Zunge liege, antwortet Meiwes. Er gibt nur vor, an den beiden Kollegen interessiert zu sein. In Wahrheit hofft er, dass sich Jörg selbst als sein Opfer anbietet. Er wäre der ideale Schlachtjunge.

Meiwes drängt Jörg zu einem Treffen. Zunächst sehen sie sich in einem Rasthof, später im Gutshaus und in einem Kasseler Hotel. Meiwes erklärt ihm, welche Fleischstücke sich unter der Haut verbergen und markiert die Partien mit Buntstiften auf Jörgs nackten Körper. Der lässt sich fesseln und am Flaschenzug hochziehen. Immer wieder versucht Meiwes, sein Opfer zu überreden, sich von ihm schlachten zu lassen. Doch Jörg lehnt ab: Er will die Schlachtung nur spielen, weil es ihn sexuell erregt.

Meiwes hätte Jörg töten können, als er wehrlos gefesselt auf seiner Schlachtbank lag. Aber er bindet ihn los und lässt ihn wieder fahren. Er will nur einen Mann schlachten, der damit einverstanden ist. Am 5. Februar 2001 liest er in einer Kannibalen-Newsgroup die Anzeige eines "Cator": "Ich biete an, mich von Euch bei lebendigem Leib verspeisen zu lassen. Keine Schlachtung, sondern Verspeisung!! Also, wer es WIRKLICH tun will, der braucht ein ECHTES OPFER!!" Meiwes schreibt sofort zurück.

Bernd Jürgen Brandes
Bernd Jürgen Brandes

Das Opfer

Bernd Jürgen Brandes ist fünf Jahre alt, als die Mutter aus seinem Leben verschwindet. Beim Urlaub auf Sylt im Sommer 1963 fährt sie mit dem Auto gegen einen Baum. Der Vater, ein Allgemeinmedziner mit eigener Praxis im Berliner Stadtteil Zehlendorf, glaubt nicht an einen Unfalltod. Seine Frau habe sich das Leben genommen, meint er. Wegen eines Kunstfehlers, den sie als Anästhesistin verschuldet hatte, war im Krankenhaus ein Patient gestorben. Die tödliche Panne, sagt der Vater, habe sie nicht verkraftet. Mit seinem Sohn spricht er nie über ihren Tod. Der macht sich seine eigenen Gedanken.

Vielleicht glaubt der Junge, er sei schuld am Tod der Mutter. Und womöglich, so der Gutachter, habe er diese Schuldgefühle mit dem Thema verbunden, das Jungen in diesem Alter sehr beschäftige: dem Begreifen der eigenen Männlichkeit. Und der Bedeutung der Genitalien. Im irrationalen Kurzschluss, schreibt der Psychiater, könnte Brandes sein Geschlecht verantwortlich gemacht haben für den Tod der geliebten Mutter. Seine totale Vernichtung und unendliches Leid könnten dem kleinen Jungen als einziger Ausweg erschienen sein, den Tod zu sühnen. Seinem Schlächter Meiwes erzählt Bernd Brandes, dass er schon als Kind davon geträumt habe, gebraten und gegessen zu werden.

Der Vater heiratet drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau wieder. Bis dahin betreuen Bernd die meiste Zeit Au-pair-Mädchen, er ist ein umgängliches Kind. Auch mit der Stiefmutter kommt er gut klar, und in der Schule gibt es keine Probleme. Das Abitur schafft er mit einem Notendurchschnitt von 2,3. An der TU-Berlin studiert Brandes Elektrotechnik, die Prüfung zum Diplomingenieur besteht er 1986 mit "gut". Ein Leben in scheinbar festen Bahnen.

Bereits vor seinem Examen entwickelt er als Werksstudent Computersoftware bei Siemens. Er bekommt schnell eine feste Stelle und wird nach vier Jahren zum Abteilungsleiter befördert. Seine acht Untergebenen schätzen den umsichtigen und freundlichen Chef. Unter anderem testet Brandes die Software von Telefonanlagen und entwirft Beschreibungen für die Kunden. Er gilt als weltweit anerkannter Spezialist auf seinem Gebiet.

Der Kopfmensch
1987 lernt er Ariane B. kennen. Die drei Jahre jüngere Frau meldet sich auf seine Kontaktanzeige im Berliner Stadtmagazin "TIP". Liebe auf den ersten Blick ist es nicht. Aber die beiden mögen sich. Brandes kann gut zuhören, hat sein Leben offenbar fest im Griff und ist bestens or- ganisiert. Er ist ein Kopfmensch, genau wie seine Freundin. Nach einem Jahr ziehen sie zusammen. Eine gute Beziehung, auch im Bett klappt es. Bernd Brandes äußert keine ungewöhnlichen Wünsche, keine Sehnsucht nach Erniedrigung und Schmerzen.

Seltsam findet Ariane nur sein Verhältnis zum Vater. Unterkühlt gehen sie miteinander um. Selbst als Erwachsener traut Brandes sich nicht, dem Vater zu sagen, dass er raucht. Der Alte ist überzeugter Nichtraucher. Bernd qualmt nicht selten eine Packung weg, wenn er nächtelang vor seinem Computer hängt. Er gründet den Berliner Computer-Club "The Best in Town". Für die 120 Mitglieder fungiert er als eine Art Vorläufer der Internet-Provider. Er schaltet eine Mailbox, in die sich die Mitstreiter einwählen können, und verbindet die Wunschpartner dann miteinander.

Die Beziehung zu Ariane, die mittlerweile an Multipler Sklerose erkrankt ist, endet 1994. Sie haben sich nichts mehr zu sagen. Daran ändert auch eine Paarberatung nichts. Brandes will nicht über seine Gefühle sprechen.

Nach der Trennung wird er immer häufiger bei den Strichern am Bahnhof Zoo gesehen. Auf den dunkelhäutigen Immanuel, den er im Herbst 1995 anspricht, wirkt Brandes verklemmt und unsicher. Mit dem Jungen entwickelt sich eine Freundschaft, die über den bezahlten Sex hinausgeht. Die beiden reden viel miteinander, gehen spazieren, in die Disco oder ins Kino. Brandes meldet sich in einem Fitnessstudio an, kauft sich für 899 Mark ein silberfarbenes Mountain-Bike und schwärmt im Büro von seinem muskulösen Körper.

Die Wünsche
Beim Sex mit Immanuel äußert er immer ausgefallenere Wünsche. Der junge Stricher soll drohen, ihn auszupeitschen. Muss ihm in den Penis und die Hoden beißen, oft zweimal am Tag. Erst wenn der Schmerz unerträglich wird, stoppt Brandes die Tortur. Einmal gibt er ihm ein Fleischermesser. "Schneid ihn ab, du kannst dafür haben, was du willst", sagt er. Im Rollenspiel geht der Stricher mit Worten auf die Wünsche ein. Er glaubt nicht, dass sein Freier wirklich verstümmelt werden will.

Bernd Brandes ist mal mit Frauen zusammen, mal mit Männern. Bei Freunden und Kollegen outet er sich als bisexuell, prahlt, dass er auch mit Männern gehe. Seine Partner lernt er meist über Annoncen kennen. Ende 1999 zieht Rene J. bei ihm ein. Die zwei haben sich auf einer Fete kennen gelernt. Gewalttätigen Sex verlangt Brandes nie von dem Freund. Vielleicht, weil er sich vor ihm schämt.

Der Lebensgefährte
Die beiden leben zusammen wie ein altes Ehepaar. Als Brandes von Siemens eine Erfolgsprämie über 15000 Mark erhält, kauft er einen teuren Fernseher, Stereoanlage, Handys, Drucker und einen Kühlschrank. Anschaffungen für die gemeinsame Zukunft, glaubt der Freund. Doch die plant Brandes schon lange nicht mehr.

Wenn der Lebensgefährte nachts um halb zwei zur Arbeit in die Bäckerei geht, macht Bernd Brandes den Computer an. "Cator", nennt er sich, "geboren als Fleisch", und schaltet Anzeigen in den Kannibalen-Newsgroups.

Im Chat meldet sich am 5. Februar 2001 ein "Franky". Der sucht junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die sich schlachten lassen wollen. In seiner ersten Mail an Franky macht Brandes sich sieben Jahre jünger, um ihm zu gefallen. "Ich bin 36 Jahre, 175 cm und 72 kg schwer. Ich hoffe, Du meinst es wirklich ernst, weil ich es wirklich will."

Die Verabredung
Franky schickt Cator Bilder seiner Zähne. Er werde sie in seinen Körper bohren und ihm auch die Zunge abbeißen, mailt er. Er sei kein Sadist, sagt Meiwes später. Die Folterfantasien habe er nur vorgetäuscht, um sein Opfer gefügig zu machen. Das werde nicht die Hölle, sondern der Himmel auf Erden werden, antwortet Brandes. Er will am Freitag, den 9. März 2001, nach Rotenburg kommen, vor Freude könne er es kaum aushalten. Dafür sei er geboren worden, werde am neunten sein Lebensziel endlich erreichen. "Ich bin dein Cator, ich bin dein Fleisch!"

Bevor sich Bernd Brandes in den Zug setzt, löscht er alle verräterischen Daten auf seinem Computer und im Netz. Bei Siemens beantragt er einen Tag Urlaub. Wegen seines Haarausfalls wolle er zu einem Spezialisten nach London fliegen, sagt er den Kollegen. Seine Fahrkarte nach Kassel bezahlt Brandes mit Bargeld, damit die Polizei nach seinem Verschwinden keinen Hinweis auf das Reiseziel hat. Er will aus dem Leben scheiden. Ohne eine Spur zu hinterlassen.

Der 9. März 2001
Armin Meiwes holt am Vormittag des 9. März 2001 seinen Verbündeten am Bahnhof in Kassel ab. Brandes ist ihm sofort sympathisch. Auf der Fahrt nach Wüstefeld sprechen sie über ihren Plan. Brandes will heute noch getötet werden. Nicht erst in einer Woche. Er hat extra nichts gegessen, damit der Darm leer ist.

Im Gutshof zieht Brandes sich aus und setzt sich nackt an den Tisch im Wintergarten. Es gibt Kaffee. Nach einer halben Stunde besichtigen sie den Schlachtraum. Brandes akzeptiert den Verschlag als Sterbezimmer und verlangt eine Kostprobe. Er will beim Sex gebissen werden, bis das Blut kommt. Doch Meiwes beißt nicht fest genug. Brandes spornt ihn an. Das werde wohl nichts, sagt er schließlich. Meiwes sei zu gutmütig.

Bernd Brandes will bei vollem Bewusstsein verstümmelt und getötet werden. Doch er glaubt nicht, dass Meiwes dazu fähig ist. Ihm fehle die nötige Härte. Bestimmt sei es einfacher für ihn, wenn sein Opfer schlafe. Meiwes holt eine Flasche Wick-Medi-Nait. Der Erkältungssaft soll müde machen.

Brandes trinkt die Flasche in einem Zug leer. Eine Stunde lang sitzen sie noch zusammen, von Müdigkeit keine Spur. Das bringe alles nichts, meint Brandes, will wieder nach Hause. Sie fahren zurück nach Kassel zum Bahnhof. Auf der Fahrt redet Meiwes auf ihn ein. Natürlich sei er in der Lage zu töten. Das sei sein größter Wunsch. Er sei nicht zu sanftmütig. Er könne das. Bestimmt.

Doch Brandes kauft eine Fahrkarte nach Berlin. Nachdem er auf der Toilette war, ändert er seine Meinung plötzlich wieder: Meiwes soll in der Bahnhofsapotheke nun noch eine Flasche Wick-Medi-Nait und eine Packung "Vivinox Schlafdragees" holen. Brandes will es noch einmal versuchen. Sie fahren zurück nach Wüstefeld, Brandes trinkt im Auto den Saft, 180 Milliliter, schluckt zehn Schlaftabletten. Im Gutshaus schüttet er noch eine halbe Flasche billigen Korn hinterher und nimmt die restlichen zehn Tabletten. Sie legen sich auf das Bett im Schlachtraum.

Die Zweifel
Brandes wird immer noch nicht müde, er will Musik hören. Meiwes holt ein Kofferradio. Eineinhalb Stunden liegen die zwei auf der Pritsche. Sie rauchen Zigaretten, streicheln und liebkosen sich. Aber Brandes schläft nicht ein. "Nun tue es, schneid ihn doch endlich ab", sagt er plötzlich. Vielleicht kippe er dann aus den Latschen. Meiwes schaltet seine Videokamera an. Als er schneiden will, ist das Messer zu stumpf. Er zweifle langsam an sich selbst, klagt er. Brandes verlangt eine schärfere Klinge, und Meiwes holt das Schlachtmesser aus der Küche.

Brandes schreit auf, als er verstümmelt wird. Aber er wird nicht ohnmächtig. Schon bald spürt er keine Schmerzen mehr. Alkohol und Medikamente haben ihn unempfindlich gemacht. Meiwes verbindet die Wunde. Die Blutung soll so weit gestoppt werden, dass Brandes seinen Wunsch noch verwirklichen kann: seine eigenen Genitalien essen.

Meiwes teilt den Penis in zwei Hälften. Eine für sich, die andere für Brandes. Doch die Stücke sind zu zäh. In der Küche blanchiert er das Fleisch, brät es und würzt mit Pfeffer, Salz und Knoblauch. Er beeilt sich, fürchtet, Brandes würde ohnmächtig. Aber der Penis schrumpft in der Pfanne und verkohlt. Er ist hart und ungenießbar.

Bernd Brandes lässt sich davon nicht beeindrucken. In ein paar Stunden könne man sich vielleicht seine Hoden teilen, sagt er. Er kämpft darum, nicht ohnmächtig zu werden. Wortreich freut er sich über das Blut, das aus dem Verband tropft. Schwärmt von weiteren Verstümmelungen. Zwischendurch legt er sich in die Badewanne, lässt warmes Wasser einlaufen.

Die Glücksgefühle
Meiwes lässt ihn gewähren. Er versteht die Glücksgefühle seines Opfers nicht. Will sie auch nicht verstehen. Meiwes will schlachten und essen. Brandes soll in ihm auferstehen. Ein echter Freund soll er sein, der immer bei ihm bleibt.

Brandes aber will gar nicht auferstehen. Nichts soll von ihm übrig bleiben. Sein Schädel und die Zähne sollen zermahlen werden, sagt er. Um die "Abfälle" werde er sich kümmern, sagt Meiwes. Zum Zeitvertreib liest er einen Star-Trek-Roman.

Es ist gegen halb vier in der Nacht, als Brandes zusammenbricht. Meiwes, im dunkelblauen Schlafanzug, zieht die Gummistiefel an und bindet eine Bettunterlage der verstorbenen Mutter als Schürze um. Dann schaltet er die Videokamera wieder an. Mit den Aufnahmen will Meiwes kein Geld machen. Er macht sie für sich. Die Bilder sollen den Triumph seines Lebens immer wieder aufleben lassen.

Die Schlachtbank
Meiwes ist aufgeregt, als er Brandes auf die Schlachtbank hievt. Sein Opfer lebt noch, atmet flach, der Brustkorb hebt und senkt sich. Als er Brandes an die Halsschlagader fasst, fühlt er den rasenden Puls. Er scheut sich zu töten. Am liebsten wäre ihm gewesen, Brandes hätte sich aus dem Fenster zu Tode gestürzt oder erhängt. Meiwes schließt die Augen und küsst den Ohnmächtigen. "Ich muss es tun", sagt er sich. Dann sticht er zu, mit einem Küchenmesser, die Klinge misst 18 Zentimeter.

Es sei ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, sagt Meiwes hinterher der Polizei. Eine Mischung aus Hass, Wut, Macht und Glück. Er habe sich gehasst, weil er es wirklich getan hat. Er habe Brandes gehasst, der tatsächlich gekommen war. Er sei wütend auf seine perversen Fantasien gewesen, berauscht von seiner Macht über den toten Körper. Und so unendlich glücklich, dass sein Lebenstraum in Erfüllung gegangen sei. Es sei für ihn, als hätte er Brandes geheiratet. Mehr noch: eine übersinnliche Verschmelzung. Dass er dafür ins Gefängnis kommen könnte, sei ihm egal gewesen.

Die Schlachtung
Bernd Brandes soll an diesem Glück teilhaben. Meiwes trennt den Kopf vom Rumpf, legt ihn auf den Tisch. Er soll "zuschauen" können, das hat Meiwes ihm versprochen. Er tätschelt den rechten Oberarm der Leiche. Während Meiwes den Körper zerteilt und etwa 30 Kilogramm Fleisch klein schneidet, spricht er immer wieder mit dem Kopf. Er brauche sich keine Sorgen mehr zu machen. Er werde nur sein Essen sein. Der Nächste, der geschlachtet würde, solle schlanker sein, sagt er. Dann wolle er es ohne das Drumherum machen. Kein langwieriges Vorspiel mehr, keine Verstümmelung, kein Schnickschnack. Einfach nur schlachten, nennt er das, nach "fleischhygienischen" Regeln.

Zwei Tage nach Brandes Tod isst Meiwes das erste Menschenfleisch. Den Rest hat er in blaue Gefriertüten verpackt und in die Kühltruhe gelegt, unter die Fertigpizzen von Eismann. Er brät sein "Steak" in Olivenöl und würzt es mit Salz, Pfeffer, Knoblauch und Muskat. Dazu gibt es Princess-Kartoffelbällchen, Rosenkohl und eine grüne Pfeffersoße. Er trinkt einen südafrikanischen Rotwein. Der Tisch ist feierlich dekoriert, mit Kerzenleuchtern. Aus der Vitrine holt er das teure schwarze Geschirr. Das Fleisch schmecke so ähnlich wie vom Schwein, erzählt er später der Polizei, nur etwas herber.

Knochen, Haut und Innereien vergräbt er nachts im Garten. Er betet wie bei einer Beerdigung. Psalm 23, "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln? Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstren Tal, fürchte ich kein Unglück? Gutes und Barm- herzigkeit werden mir folgen mein Le- ben lang." Danach spricht er ein "Vater unser".

Einen Armknochen trocknet er im Backofen, zerraspelt ihn anschließend mit einer Küchenreibe. Er habe mal versuchen wollen, wie so etwas geht, sagt er später. Das Knochenmehl deponiert er in einem alten Brotkasten. Den rohen Fuß seines Opfers dekoriert er auf einer Platte, reibt ihn mit Ketchup und Gewürzen ein. Dahinter stellt er eine Schale mit heißem Wasser. Es soll aussehen, als dampfe der Fuß. Er will ihn nicht verspeisen, nur ansehen. Meiwes ist das erste Mal seit dem Todesstich sexuell erregt. Auch wenn er das Schlachtvideo einlegt, muss er masturbieren.

Die Entdeckung
Während der folgenden Monate sucht Armin Meiwes weiter nach Opfern. Er will jüngeres, zarteres Fleisch. Mit vier Männern, aus Kassel, London, Essen und dem Odenwald, trifft er sich zu Hause und in Hotels. Er legt sie nackt auf die Schlachtbank und packt sie in Zellophanpapier. Steckt ihnen Nadeln mit Papierschildern in die Haut, auf denen "Schinken" oder "Filet" steht. Schließt sie in den Holzkäfig. Getötet wollen sie alle nicht werden. Nur ein "Alex" fleht Meiwes an, ihn zu köpfen. Dem aber ist der junge Mann zu dumm - und zu fett.

Die Fotos seiner Rollenspiele stellt er ins Internet. Er habe schon einen Menschen getötet und gegessen, prahlt "Franky" in den Foren. Am 9. Juli 2001 meldet sich ein Student aus Innsbruck beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Er war beim Chatten auf die verräterischen Zeilen gestoßen. Zwei Monate dauert es, bis der Anschluss von Franky identifiziert ist, kurz vor Weihnachten wird das Haus durchsucht. Am selben Tag gesteht Armin Meiwes seinem Anwalt, einen Menschen getötet zu haben. Der rät ihm, sich der Polizei zu stellen. Einen Tag später ergeht der Haftbefehl - Meiwes hat zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Kilo des Menschenfleisches verzehrt.

Er sehe Brandes oft vor sich, sagt er der Polizei. In Gedanken fasse er des- sen Körper an. Seitdem der Freund in ihm sei, sei er psychisch viel stabiler geworden. Er fühle sich nicht mehr allein, die innere Leere sei wie weggeblasen, sagt Meiwes. Er habe sogar das Gefühl, einige Fähigkeiten von Brandes übernommen zu haben. Der konnte zum Beispiel gut englisch sprechen. Und Meiwes glaubt, er spreche jetzt deutlich besser englisch als früher.

Die Anklage
Die Staatsanwaltschaft Kassel hat gegen Armin Meiwes Anklage wegen Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe erhoben. Meiwes habe es als Nervenkitzel empfunden, Bernd Brandes zu töten. Die kannibalischen Handlungen und das Ansehen des Videofilms habe er als sexuell stimulierend empfunden. Ihm sei zudem bewusst gewesen, dass Bernd Brandes noch lebte, als er mit dem Messer zustach. "Tötung auf Verlangen" scheidet nach Ansicht der Ankläger aus, weil Bernd Brandes wegen seiner Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage gewesen war, voll verantwortlich über seinen Tod zu entscheiden. Nach Ansicht des psychiatrischen Gutachters ist der Angeklagte voll schuldfähig.

Armin Meiwes hofft auf ein mildes Urteil. Er bereut die Tat nicht. Nach "vier bis fünf Jahren" werde er hoffentlich wieder frei sein, sagt er dem stern. Den Gutshof in Wüstefeld will er nicht verkaufen. Er werde gelegentlich dorthin zurückgehen, "in mein Refugium".

Martin Knobbe und Detlef Schmalenberg


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