Armin Meiwes

12. Januar 2006    
    
NEUER PROZESS

Der lächelnde Kannibale

Von Roman Heflik

Es ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte: Ein Mann tötet einen anderen, isst seine Leiche - und wird nur wegen Totschlags verurteilt. Jetzt wird der Prozess gegen Armin Meiwes in Frankfurt neu aufgerollt.

Frankfurt - Es ist Punkt 9.30 Uhr, als der Mann den Saal betritt, auf den alle warten. Die Fotoapparate klicken. Die Aufnahmen werden zeigen: einen Mann Mitte Vierzig, mit breitem Kinn und hoher Stirn, gekleidet in einen dunkelgrauen Anzug, darunter ein anthrazitfarbenes Hemd, eine elegante grau gestreifte Krawatte mit Nadel. Die Arme halten einen dicken Aktenordner. Was die Fotos nicht zeigen: die Abwesenheit jeglicher Nervosität, die Ruhe und Selbstsicherheit des Mannes. Armin Meiwes ist der Kannibale von Rotenburg.

Meiwes kennt das alles schon: Das leicht abgestandene Ambiente eines Gerichtssaals, die Aufmerksamkeit der Presse, die fasziniert starrenden Blicke aus dem Zuschauerraum. Er hat das alles schon mal erlebt, damals, in Kassel, als das dortige Landgericht zu verstehen versuchte, was der Angeklagte Meiwes getan hatte. Wie bestraft man einen Menschen, der jemanden auf dessen Willen hin tötet und dann verspeist? Von Kannibalismus war im Strafgesetzbuch nichts zu finden. Die wesentlichen Merkmale für Mord lägen nicht vor, beschlossen die Richter schließlich und verurteilten Meiwes zu achteinhalb Jahren Haft - wegen Totschlags.

Das war im Januar 2004. Heute, zwei Jahre später, wird der Fall des Kannibalen von Rotenburg neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil von damals im vergangenen Jahr aufgehoben. "Rechtsfehlerhaft" habe das Kasseler Gericht verschiedene Mord-Merkmale verworfen, entschieden die Karlsruher Richter. Verschiedene Aspekte seien nochmals daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht für ein Urteil wegen Mordes - und damit für eine lebenslange Strafe - ausreichten. Und so steht Armin Meiwes wieder vor Gericht. Viel auszumachen scheint es ihm nicht. Als der Vorsitzende Richter Klaus Drescher fragt, ob Meiwes heute eine Stellungnahme abgeben wolle, nickt er heftig.

"Persönlichkeitsstörung des Opfers ausgenutzt"

Meiwes hat sich eine kleine Brille aufgesetzt. Das Kinn auf die Brust gestützt, die Augenbrauen hochgezogen, lauscht er der Anklageschrift, die Staatsanwalt Marcus Köhler verliest. "Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes und zur Ermöglichung einer weiteren Straftat", nämlich der Störung der Totenruhe, habe Meiwes einen Menschen ermordet. Die Anklage wegen Mordes statt Totschlags basiert auf zwei Eckpunkten:

Erstens: Das Opfer, der Berliner Diplom-Ingenieur Bernd B., habe gar nicht ausdrücklich seine eigene Tötung gewünscht. Trotz seiner wüsten Sado-Maso-Fantasien habe B. ein Rendezvous mit Meiwes kurz vor der verabredeten Schlachtung abbrechen wollen. Doch "der Angeklagte erkannte die seelische Zerrissenheit und versuchte B. umzustimmen", liest Köhler vor. Meiwes habe B.s Persönlichkeitsstörung bewusst ausgenutzt, um seine perversen Neigungen zu befriedigen.

Zweitens: Anders als die Kasseler Richter ist die Frankfurter Anklage davon überzeugt, dass die Tat doch sexuell motiviert gewesen sei. Als Beleg dient den Staatsanwälten das Videoband, auf dem Meiwes die ganze Tat aufgenommen hatte.

"Ich habe meinen Kick gehabt"

Mit einer merkwürdigen Begebenheit hatte der Kasseler Prozess damals geendet: Nach der Urteilsverkündung trugen Meiwes und sein Anwalt, Harald Ermel, ihre Erleichterung offen zur Schau. Sein Mandant werde nach dem Abbüßen seiner Strafe nicht wieder rückfällig, versicherte der Verteidiger selbstbewusst. Und auch Meiwes selbst hatte sich zuvor bereits für die Zukunft eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt: "Ich habe meinen Kick gehabt." Auf dem Video, das Meiwes von der Schlachtung drehte, hört sich das noch etwas anders an. Der Nächste müsse aber jünger und schlanker sein, sagt Meiwes, während er die Leiche zerlegt.

Nun muss sich also das Frankfurter Landgericht nochmals mit dem unglaublichen Verbrechen beschäftigen. Das Taktieren beginnt. Die Verteidigung fährt zweigleisig: Meiwes Frankfurter Wahl-Verteidiger Joachim Bremer gibt sich freundlich und kooperativ. Und fordert zugleich ein einwöchiges Aussetzen des Prozesses: Zunächst müsse die Besetzung der Richterbank nochmals geprüft werden. Der Grund: Das Frankfurter Schwurgericht hatte "wegen der zu erwartenden psychischen Belastungen" zwei statt wie üblich einen Ergänzungsschöffen berufen. Das Gericht berät sich kurz, dann lehnt der Vorsitzende Richter Klaus Drescher ab.

Es geht in die nächste Runde. Meiwes-Verteidiger Rainer Platz verliest ein Schriftstück: Der Bundesgerichtshof habe willkürlich gehandelt, als er das Verfahren an das Landgericht Frankfurt verwiesen habe. Die Frankfurter Richter seien gar nicht zuständig, rügte Platz. "Ein Zurückverweisen an das Landgericht Kassel wäre die erste Wahl gewesen", sagte der Anwalt.

Verschwundenes Filmmaterial

Die Richter des BGH sehen das allerdings anders. Das kleine Provinzgericht stoße mit einem Fall solcher Tragweite an die Grenze. Mit anderen Worten: Meiwes überforderte die Kasseler Richter. Wieder berät das Gericht. Wieder weist Drescher den Antrag der Verteidigung ab. Er will keine Zeit verlieren, das merkt man dem Hessen an. Nicht hastig, aber entschieden treibt er die Verhandlung voran.

Die Verteidigung wiederum scheint willens, alles zu tun, um das Tempo zu drosseln. Ein Zufall kommt ihr zu Hilfe: Beim Überspielen des Filmmaterials nach Frankfurt sind einige Minuten zeitweise verloren gegangen, dann wieder aufgetaucht. Er müsse das mit seinem Mandanten erst genau besprechen, sagt Bremer, nachdem er in der Verhandlungspause doch noch einen Blick auf die Videoaufnahmen werfen konnte. Es gehe doch um Filmsequenzen, die erst einige Zeit nach der Tötung B.s entstanden seien, wendet der Vorsitzende ein.

Doch die Verteidigung bleibt dabei: Erst Beratungen, dann die Aussage, wahrscheinlich am Montag. Drescher weist daraufhin, dass der Terminplan aus den Fugen gerät, doch er akzeptiert. Als die Verhandlung endet, steht Meiwes auf und plaudert noch kurz mit seinen Anwälten. Als ihm wieder Handschellen angelegt werden, lächelt er.


© SPIEGEL ONLINE 2006


Meiwes im Gerichtssaal 2006


gmx.net

09.01.2006
"Kannibale von Rotenburg" klagt gegen Kinofilm

Der so genannte Kannibale von Rotenburg will vor Gericht den Start des Kinofilms "Rohtenburg" verhindern, der offensichtlich auf der Tat von Armin Meiwes basiert.

Er habe Anträge auf einstweilige Verfügungen vor einem US- und einem deutschen Gericht gegen die Produktionsfirma Atlantic Streamline gestellt, um den Start am 9. März zu verhindern, sagte sein Anwalt Harald Ermel in Rotenburg. Der Film verletzte die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten und stigmatisiere ihn. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main beginnt am Donnerstag der Revisionsprozess gegen Meiwes.
Es werde suggeriert, dass das Opfer auf bestialische Weise mit Dutzenden Messerstichen ermordet werde, sagte Ermel weiter. Der Film "Rohtenburg" mit dem deutschen Schauspieler Thomas Kretschmann wurde nach Angaben des Filmverleihers Senator "von wahren Ereignissen" inspiriert. Laut Ermel handelt es sich um eine "sklavische Nachahmung des Kriminalfalls Meiwes". Er betonte, seinem Mandanten gehe es nicht um das Geld. Er habe eine "hohe Summe" abgelehnt. Ihm gehe es um eine "wahrheitsgemäße Darstellung".
Meiwes war im Januar 2004 vom Landgericht Kassel wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Es befand den heute 44-Jährigen schuldig, einem 43-jährigen Berliner vor laufender Videokamera den Penis abgeschnitten, ihn erstochen und zerstückelt zu haben. Später aß er einen großen Teil des Fleischs. Die Richter verurteilten ihn aber nicht wegen Mordes, weil er von einem Einverständnis seines Opfers habe ausgehen können. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob dieses Urteil aber auf. Nach seiner Ansicht verkannte das Kasseler Landgericht mehrere Mordmerkmale. Deshalb muss der Fall nun vor dem Landgericht Frankfurt neu aufgerollt werden.



16.01.2006
"Kannibale von Rotenburg" legt erneut Geständnis ab
Der so genannte Kannibale von Rotenburg hat auch im zweiten Prozess gegen ihn ein Geständnis abgelegt.

Vor dem Landgericht Frankfurt am Main räumte Armin Meiwes zu Beginn seiner Aussage ein, im März 2001 einen 43-jährigen Berliner vor laufender Kamera getötet und danach zerstückelt zu haben. Er hob dabei mehrfach hervor, dass ihn sein Opfer zu der Tat gedrängt habe. "Essen wollte ich ihn, töten wollte ich ihn nicht", sagte er. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sein Opfer den Tod selbst herbeigeführt hätte.
Meiwes hatte bereits im ersten Verfahren gestanden, den 43-jährigen Bernd B. mit dessen Einverständnis vor laufender Videokamera getötet, zerstückelt und später teilweise gegessen zu haben. Das Landgericht Kassel verurteilte ihn im Januar 2004 wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob das Urteil aber im April vergangenen Jahres auf. Nach Ansicht des BGH verkannten die Kasseler Richter mehrere Mordmerkmale.
Vor dem Landgericht Frankfurt schilderte Meiwes ausführlich, wie er Bernd B. im Internet kennenlernte. Dabei zitierte er auch mehrfach genau aus dem Chat-Verkehr mit seinem Opfer. Am 9. März 2001 kam Bernd B. dann zu Meiwes nach Rotenburg. Am frühen Abend schnitt Meiwes seinem Opfer zunächst den Penis ab. Sie versuchten dann nach der Aussage des Angeklagten vergeblich, diesen zu essen. In den frühen Morgenstunden des folgenden Tages brach Bernd B. bewusstlos zusammen. Danach erstach Meiwes ihn.
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Er sei aber überzeugt gewesen, dass sein Opfer bereits verstorben gewesen sei, sagte Meiwes. Er habe dabei gleichzeitig "Hass, Wut und Glück" empfunden.



09.05.2006
Lebenslang für "Kannibalen von Rotenburg"

Der so genannte Kannibale von Rotenburg ist wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht Frankfurt am Main sprach den Angeklagten Armin Meiwes schuldig, im März 2001 einen 43-jährigen Berliner getötet, zerstückelt und das Fleisch teilweise gegessen zu haben.

Die Verteidigung hatte die Tat dagegen als Tötung auf Verlangen gewertet, die lediglich mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft worden wäre. Meiwes hatte die Tat vor Gericht gestanden. In einem ersten Prozess hatte ihn das Landgericht Kassel im Januar 2004 wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil aber im April vergangenen Jahres auf und verwies den Fall an das Landgericht Frankfurt. Nach Ansicht des BGH verkannten die Kasseler Richter mehrere Mordmerkmale.

Armin Meiwes hatte in allen grausigen Details gestanden, im März 2001 einen 43-jährigen Berliner getötet, zerstückelt und das Fleisch seines Opfers danach teilweise gegessen zu haben. Doch wie er dafür bestraft werden sollte, war juristisch äußerst schwierig zu beantworten. Und der spektakuläre Fall könnte noch weitere Instanzen beschäftigen - für die nun eingetretene Verurteilung wegen Mordes hatten die Verteidiger die erneute Revision beim Bundesgerichtshof angekündigt.

Meiwes beim 2. Prozeß 2006

Unstrittig ist, was sich im März 2001 in dem von Meiwes bewohnten alten Gutshof im nordhessischen Rotenburg-Wüstefeld abspielte: Vor laufender Videokamera schnitt der Angeklagte dem Diplomingenieur Bernd B. aus Berlin, den er im Internet kennengelernt hatte, auf dessen Wunsch zunächst den Penis ab. Nachdem der 43-Jährige das Bewusstsein verloren hatte, stach er ihm in den Hals und zerlegte die Leiche. Der Angeklagte sagte in dem Prozess aus, er sei davon ausgegangen, dass das Opfer bei dem Stich schon tot gewesen sei. Nach Überzeugung der Frankfurt Staatsanwaltschaft wusste er dagegen, dass der Mann noch lebte. Später aß Meiwes dann große Teile des Fleisches. Das Landgericht Kassel hatte Meiwes wegen dieser Tat, deren rechtliche Bewertung oft als juristisches Neuland angesehen wurde, im Januar 2004 wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Nach Einschätzung der Kasseler Richter entsprach die Tat den krankhaften Wünschen von Täter und Opfer: Beide hätten einvernehmlich eine "Vereinbarung" getroffen. Daher liege nicht Mord, sondern nur Totschlag vor. Doch der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob das Urteil im April vergangenen Jahres auf und verwies den Fall an das Landgericht Frankfurt. Nach Ansicht des BGH verkannten die Kasseler Richter mehrere Mordmerkmale.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft sah nun gleich drei Mordmerkmale als verwirklicht an: Nach ihrer Überzeugung tötete Meiwes sein Opfer zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus niederen Beweggründen sowie zur Ermöglichung einer anderen Straftat, nämlich der Störung der Totenruhe. Er habe sich mit dem Schlachten eines Menschen eine Art Kino für den Kopf erschaffen wollen, um dieses später bei der Selbstbefriedigung einzusetzen, sagte Staatsanwalt Marcus Köhler.

Die Ankläger verlangten zudem, eine besondere Schwere der Schuld festzustellen. Damit wäre eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren Gefängnis ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft begründete dies unter anderem mit der "hohen Wiederholungsgefahr". Nach den Gutachten der Sachverständigen ist Meiwes auch voll schuldfähig: Diese seien sich einig gewesen, dass trotz einer "schweren seelischen Abartigkeit" die Unrechts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten voll erhalten gewesen sei, sagte die zweite Staatsanwältin Annette von Schmiedeberg.

Ganz andere juristische Schlussfolgerungen zog die Verteidigung: Sie wertete die Tat nur als "Tötung auf Verlangen". Das Opfer habe geschlachtet und verspeist werden wollen, sagte Anwalt Joachim Bremer. Eine Rückfallgefahr sah zwar auch die Verteidigung - allerdings unter Berufung auf die Sachverständigen nur unter der Bedingung, dass ein Opfer freiwillig zu Meiwes kommt. Der zweite Verteidiger des Angeklagten, Rainer Erich Platz, sagte über die schier unbegreifliche Tat, Meiwes und der 43-jährige Berliner hätten das Modell von Täter und Opfer "im klassischen strafrechtlichen Sinn" aufgelöst.

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